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Hojotoho! Am 26. Juli hebt sich in Bayreuth der Vorhang zu den 90. Richard-Wagner-Festspielen. Dann stellt Regisseur Jürgen Flimm zum zweitenmal in Folge seinen "Ring der Nibelungen" auf den Prüfstand einer Fangemeinde, die in ihrem Fanatismus eher einem Geheimbund als einer Schar von Musikliebhabern ähnelt. "Für den echten Wagnerianer", sagt Flimm lächelnd, "ist Mozart Kirmesmusik".

Wir sitzen oberhalb des Festspielhauses auf einer Bank und blicken über sanft abfallende Wiesen und Kornfelder, die sich vom Waldrand aus in Bewegung setzen und weit unterhalb des Grünen Hügels gegen den Stadtrand branden. Das Bild scheint der deutschen Romantik entsprungen, wären da nicht der Parkplatz und die Kondenzstreifen am Himmel. Gerade vier Wochen hatte Flimm Zeit, um seine "Ring"-Inszenierung, die im letzten Jahr zur Überraschung vieler Skeptiker enthusiastisch gefeiert wurde, zu renovieren. "Vier Wochen ist hart..." sagt er. Er breitet die Arme auf der Rückenlehne aus, geht ins Hohlkreuz und reckt den Kopf gen Himmel – Stretchingübung und Stoßgebet zugleich. Ich bin noch einmal mit einem guten Ergebnis davongekommen,  heißt das wohl.

Sicher war er nicht, konnte er auch nicht sein. Dazu waren die Voraussetzungen zu schlecht. Im Glaubenskrieg zwischen Wolfgang Wagner (81) und dem Stiftungsrat um die Nachfolge des greisen Festspielchefs und damit auch um die ideologische Ausrichtung der Veranstaltung, wurde Jürgen Flimms Vorjahresensemble förmlich zerrieben. Von der ursprünglichen Besetzung blieb auf Grund von Querelen mit Godfather Wagner gerade mal ein Drittel übrig. Weltstars wie Placido Domingo und Waltraud Meier erklärten aus voller Kehle, dass sie unter Wolfgang Wagner nicht mehr zur Verfügung stünden.

"Ich habe es aufgegeben, nach hinten zu schauen," sagt Flimm, "das bringt nichts. Es gibt eine neue Besetzung, davon sind einige sehr gut, von den anderen kann ich das gar nicht sagen, wir proben ja noch." Welchen Sinn hätte es, sich kurz vor der Premiere zu etwas zu äußern, das sowieso nicht beeinflussbar ist? Im übrigen sei er in seiner Arbeit von den dramaturgischen Erschütterungen der Bayreuth-Soap vollständig verschont geblieben. "Das hat unsere Arbeit nicht erreicht", versichert er.  

Er inhaliert das Aroma der frisch gemähten Wiese und schaut mich verschmitzt an. Sind die Änderungen am "Ring" gravierend dieses Jahr? Flimm nickt. "Das ist immer so", sagt er. "Man spürt, was man nicht hingekriegt hat, spätestens bei der Generalprobe. Ich weiß zwar nicht die Lösung, aber ich weiß genau, was nicht funktioniert. Wenn es dann ein bißchen liegt, beginnt es in einem zu gären. Dann kommt man im nächsten Jahr wieder und baut neue Streben ein. Ich habe bereits im September angefangen, meine Gedanken zu Papier zu bringen. Im November gab es dann ein erstes kreatives Treffen mit den Bayreuthern und einen Monat darauf waren schon die Techniker am Werk. Man kann sich in Bayreuth sehr viel vornehmen – um mal den positiven Aspekt zu erwähnen."

Wohin werden die Festspiele in Zukunft treiben? Wolfgang Wagners verhasste Tochter Eva Wagner-Pasquier, die vom Stiftungsrat als Nachfolgerin favorisiert wird, hat darüber nachgedacht, auch andere Komponisten in Bayreuth aufzuführen. Komponisten, die mit Richard Wagner in irgendeiner Weise verbunden sind. "Schwierig", sagt Flimm. "Ein Konzept ist natürlich nur so lange gut, wie es erfolgreich ist. Aber das Konzept der Wagner-Festspiele ist immer noch extrem erfolgreich. Wenn ich Professor für Marketing wäre, würde ich im ersten Semester nur über Bayreuth reden. Das Konzept des alten Richard ist schlichtweg genial. Rauszugehen aus den großen Zentren, aufs Land zu gehen, auf diesen Hügel, dort dieses Haus zu erbauen. Im Grunde ist das Bayreuther Festspielhaus das erste Musical-Theater der Welt. Errichtet, um ein bestimmtes Stück zu spielen."

Er wiegt den Kopf, als gebe er zu bedenken, dass man trotz aller Erneuerungsrufe nicht vergessen dürfe, mit welch ökonomischer Weitsicht das Unternehmen Bayreuth von Anfang an ausgestattet war. "Die haben das Prinzip der Marktverknappung total erkannt", sagt er. "Man verkauft nicht so viel, wie man kann – man verkauft so viel, wie man will. Dadurch wird das Produkt erheblich aufgewertet. Ich bin sicher, dass das Festspielhaus auch drei Wochen vor dem üblichen Start ausverkauft wäre und auch noch drei Wochen nach dem August, auf den man sich nun mal geeinigt hat. Wir spielen vier Wochen, mehr nicht. Das ist Bayreuth. Wenn man diesen Grundsatz in Frage stellt, könnte es sein, dass sich die Wagner-Festspiele anderen Festivals bis zur Unkenntlichkeit annähern." In Stratford käme doch auch niemand auf die Idee, neben Shakespeare einen Marlowe ins Programm zu heben.

Vor drei Jahren bin ich Jürgen Flimm schon einmal begegnet. Der Blick aus seiner Wohnung im Blankeneser Treppenviertel über die schmalen, abfallenden Gassen mit ihrem bunten Dächergewirr auf die breiteste Stelle des Elbstroms war wie geschaffen, um den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Trotzdem wirkte er damals müde und ausgebrannt. Es stand bereits fest, dass er das Hamburger Thalia-Theater, dem er in den fünfzehn Jahren seiner Intendanz zur Hochblüte verholfen hatte, abdanken würde. Ich erinnere mich, wie er sich scherzhaft darüber beklagte, dass die Theaterarbeit von allen Künsten die flüchtigste sei. "Schriftsteller haben es gut", hatte er gesagt, "die können irgendwann aufhören zu schreiben und auf die Bücher verweisen, die ihnen in den letzten Jahren aus der Feder geflossen sind. Ein Theatermann hat nichts Beweisbares in der Hand. Im Theater verwischen sich die Spuren. Mit Lebenswerk ist da nichts zu machen."

Er lacht, als ich ihm davon erzähle. "Oh nein, ich stelle es mir schrecklich vor, ein Schriftsteller zu sein", sagt er. "Die lesen ihr Buch nach einem Jahr noch einmal durch und müssen sich plötzlich fragen: Um Gottes Willen, was habe ich denn da geschrieben! Bei uns ist das fein, unser Ergebnis ist nicht endgültig, wir können es permanent verändern." Die Kehrtwendung seines Gemüts ist Ausdruck einer  Erleichterung, die er bereits vor seinem Hamburger Abschied herbeigesehnt hatte. "Ich freue mich darauf, wenn ich nur noch für mich verantwortlich bin", gestand er damals, "ich möchte nicht länger das Wohl einer ganzen Mannschaft im Auge behalten müssen. Ich möchte einfach etwas fundierter leben als bisher."

Natürlich geht er immer noch mit Wehmut am Thalia-Theater vorbei, wenn er in Hamburg ist, gesteht er. "Manchmal träume ich, ich stehe während der Vorstellung auf der Seitenbühne und schaue dem Treiben ohnmächtig zu. Ich vermisse auch viele Leute aus dem Haus, die ich seit Jahrzehnten gut kenne. Das ist, als hätte man sich ein neues Auto gekauft und das alte geht einem einfach nicht aus dem Kopf. Ich bin kein besonders guter Trenner. Ich habe es gerne nett und gerne lange nett...Trotzdem bin ich froh, dass ich nicht mehr jedes Jahr zur Behörde dackeln muß, mich mit dem Bürgermeister um Geld streiten muß und ähnliche Dinge mehr. Dass ich eine gewisse Trauer empfinde, ist eine ganz andere Sache."

Aus der Rolle des ewigen Bittstellers hätte sich Flimm nach dem Regierungswechsel schnell befreien können. Dem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder galt der renommierte Theatermann als allererste Wahl für das neu zu schaffende Amt des Kulturministers. Flimm, der Schröder als kulturpolitischer Berater zur Seite stand und auf dessen Mist die Idee eines Kultusministers erst gewachsen war, lehnte ab, präsentierte aber eine Reihe anderer Kandidaten, von denen Michael Naumann schließlich zusagte. In die aktive Politik zu gehen war für Jürgen Flimm undenkbar. Ein Freigeist wie er ist in dieser Gesellschaft als kritischer Beobachter allemal besser aufgehoben, findet er.

Sie hören ja auch auf ihn, die Politiker, jedenfalls hören sie ihn an. "Ich habe dem Herrn Wowereit, als der noch Fraktionsvorsitzender war, gesagt: Euer Kulturetat ist so minimal, dass man sich wundern muß, welche Funken daraus schlagen. Eine Stadt wie Berlin, die endlich im Konzert der europäischen Metropolen mitspielen möchte, sollte sagen, an unserem Kulturetat wird nicht länger gerüttelt. Das mit den Museen und den Theatern wird jetzt auf Hochglanz poliert und wir sehen zu, dass nebenbei noch tausend Blumen blühen. Man muß in die Stadt kommen und sagen: Donnerwetter! Das kann man doch herbeiführen. In Paris hat man das verstanden, in London, Barcelona und Rom auch. Berlin hat als kulturelles Schwergewicht Europas alle Chancen. Es muß nur endlich den Stellenwert erkennen, den die Kultur im Wettstreit der Metropolen besitzt."

Jürgen Flimm zählt zu den wenigen Kulturschaffenden im Lande, die sich in und neben ihrer  künstlerischen Arbeit immer in die aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion einzubringen versuchten. Unvergessen seine 1988 erteilte Absage  an den Flugzeugbauer Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), der sich als Sponsor des Thalia-Theaters beworben und eine größere Summe für die laufende Spielzeit in Aussicht gestellt hatte. Der Konzern war in der Rüstung tätig, folgerichtig verzichtete Flimm auf den Geldregen.

Was sind heute die drei Themen, die die Republik seiner Meinung nach am meisten zu beschäftigen haben? "Die Biotechnologie", sagt er, "die Integration der PDS in unser Parteiensystem und die Vorgänge um den Verkauf der Leuna-Werke." Bei der Debatte um die Bio-Technologie fühle er sich überfordert. "Ich verstehe den Wunsch der Eltern nach einem gesunden Kind", sagt er. "Wenn die Gentechnik nachweisbare positive Wirkungen erzielt –  sagt man das dann ab, weil sie  auch negative Auswirkungen haben kann? Ich verweigere mir eine Meinung."

Ähnlich geht es ihm in der Diskussion um die PDS, deren zahlreiche Wähler man schlecht ausgrenzen könne, wenn man es ernst meint mit der Wiedervereinigung. "Andererseits ist die Nachfolgepartei der schrecklichen SED in Berlin natürlich janusköpfig. Die alten Kader sind nicht totzukriegen. Vielleicht sollte man gerade deswegen den fortschrittlichen Leuten in der Partei den Rücken stärken." Zum Leuna-Komplex falle ihm gar nichts ein. Höchstens dieses: Die Konsequenz, mit der sich die deutsche Staatsanwaltschaft vor Ermittlungen drücke, lege den Verdacht nahe, dass hier eine Zeitbombe tickt, die das Land auf ähnliche Weise erschüttern könne, wie es den USA durch Watergate geschehen sei.

"Ich werde übrigens nächste Woche 60", sagt er unvermittelt. "Ich erwähne das nur, falls Sie dazu Fragen haben." Hat Jürgen Flimm ein Problem damit, 60 zu werden? "Naja", antwortet er, während sich sein Gesicht zu einer einzigen Knautschzone verdichtet, "59 ist noch okay, 58 sowieso, aber die Zahl sechs ist schon hart, wenn sie an erster Stelle steht. Das ist Quatsch, ich weiß. Aber in dem Shakespearestück `Wie es euch gefällt` gibt es einen wunderbaren Satz. Da sagt der Jacques: `Wir reifen, wir reifen! Wir faulen, wir faulen!` Irgendwann fällt der Apfel vom Baum. Batsch! Dann ist es vorbei."

Die Gewißheit, dass es gleich vorbei sein kann, hat ihn bereits vor zwei Jahren gestreift. "Ich stand morgens auf und lief gegen die Wand. Bumm. Dann haben sie mich in eine Röhre gesteckt und festgestellt, dass ich einen Schlaganfall hatte. Seitdem zittere ich davor, dass mir das noch einmal passiert." Seitdem nimmt er die Streßfaktoren, die mit seiner Arbeit einhergehen, genau ins Visier. Er fährt Fahrrad, ernährt sich fettarm und hat sich der Fraktion jener Raucher zugesellt, die nicht rauchen. Bei den Proben sieht man ihn heftig in Äpfel beißen.

"Wann geht Ihr Zug?" fragt Jürgen Flimm, als sich die verabredete Gesprächszeit dem Ende zuneigt. In anderthalb Stunden. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas Wunderbares". Wir steigen in seinen Audi A 8, der ihm von der Festivalleitung zur Verfügung gestellt wurde und trudeln gemächlich den Hügel hinunter in die Stadt. Ziel ist das Markgräfliche Opernhaus, das 1747 nach den Plänen Giuseppe Galli Bibienas errichtet wurde, dem bedeutendsten Theaterarchitekten seiner Zeit. Die Dame an der Kasse erkennt den Regisseur des "Ring" und so dürfen wir das barocke Goldgewitter des Logenhauses in aller Ruhe auf uns wirken lassen.

Jürgen Flimm saugt die Atmosphäre des Hauses schweigend ein, als atme er durch die Jahrhunderte. Als wir gehen, bittet ihn die Dame an der Kasse um einen Eintrag ins Gästebuch. "Hojotohoh!" schrieb er, "Jürgen Flimm.."

Der Artikel erschien in der WELT

Global warming has been a matter of public concern in Germany since the ‘Greenhouse Summer’ of 1988. But although it appears as a topic on the margins of literary texts since the late 1970s, it has only recently come to play a central role in novels such as Dirk C. Fleck’s Go! Die ÖkodiktaturDas Tahiti-Projekt and Maeva, Ilija Trojanow’s EisTau and Nele Neuhaus’s Wer Wind sät. It was rather global cooling with which 1970s writers were preoccupied, as Reinhold Grimm pointed out in his essay ‚Eiszeit und Untergang: Zu einem Motivkomplex in der deutschen Gegenwartsliteratur‘ (1981).

It has hitherto been assumed that literary representations of cold and ice, rain and floods were essentially metaphors for political, social and cultural developments which were observed or anticipated. This project adopts a different approach, comparing selected examples of German writing since the 1970s on global cooling and global warming, and placing them in the wider context of contemporary scientific and political debates on climate change, before asking what anxieties about modernity they reflect and what questions about the human-nature relationship they raise.

Its aim is to throw light on what role literature plays in environmental discourse. Is it essentially one of transmitting scientific facts to a wider audience and popularising arguments, of representation and mediation? Or does literature participate significantly in the discursive constitution of environmental problems and solutions? Do novels constitute a counter-discourse to the Dominant Social Paradigm, one highlighting the ethical dimension? And can they help us imagine the social and psychological consequences of climate change, and adapt to the unavoidable? Through comparative examination of literary representations of climate, focusing on how the issue is framed in terms of social values, the project will explore the role of the literary imagination in confronting the challenges which climate change presents.

Axel Goodbody, Professor of German Studies and European Culture at the University of Bath, UK

HANS JONAS (1903 – 1993) war ein Philosoph, der von 1955 bis 1976 als Professor an der New School for Social Research in New York City lehrte. Sein Hauptwerk ist die 1979 veröffentlichte Schrift Das Prinzip Verantwortung. In ihr sagt er: „Der schlechten Prognose den Vorzug gegenüber der guten zu geben ist verantwortliches Handeln“. Gleichzeitig formulierte er einen Satz, der sich mir tief eingeprägt hat: „Die Hoffnung ist die wesentlichste Energiequelle der Zukunft“.

Manchmal tut es gut, sich in der Literatur zu bedienen, wenn die Seele wieder einmal auf Halbmast hängt. Bei Novalis zum Beispiel:
 
"Wenn man echte Gedichte liest und hört, so fühlt man einen inneren Verstand der Natur sich bewegen, und schwebt, wie der himmlische Leib derselben, in ihr und über ihr zugleich. Naturforscher haben die unermessliche Natur zu mannigfaltigen, kleinen gefälligen Naturen zersplittert und gebildet. Unter ihren Händen starb die freundliche Natur, und ließ nur tote, zuckende Reste zurück, dagegen sie vom Dichter, wie durch geistvollen Wein, noch mehr beseelt zum Himmel stieg, jeden Gast willkommen hieß und ihre Schätze frohen Muts verschwendete. Es ist schon viel gewonnen, wenn das Streben, die Natur vollständig zu begreifen, zur Sehnsucht sich veredelt, zur zarten, bescheidenen Sehnsucht, die sich das fremde Wesen gerne gefallen läßt, wenn es nur einst auf vertrauteren Umgang rechnen kann …"
 
Aus “Die Lehrlinge zu Sais”. Der Freiherr von Hardenberg (1772-1801) schrieb diese Zeilen, als Europas Landschaft noch wie ein Paradies anmutete. Er schrieb sie in weiser Voraussicht, denn zu einem vertrauteren Umgang mit der Natur, wie ihn sich Novalis wünschte, waren die nachfolgenden Generationen bis heute nicht fähig. Angenommen, man hätte diesen Menschen vor zweihundertzehn Jahren tiefgefroren und erweckte ihn jetzt wieder zum Leben. Sind wir überhaupt noch in der Lage, uns den Schrecken vorzustellen, der ihn nach kürzester Zeit ins Nirvana befördern würde?

Wenn Professor Jürgen Hubbert bei seinen über dreitausend Steifftieren sitzt, glaubt er dann nicht manchmal zu träumen? Eigentlich war sein Karriereziel in den achtziger Jahren doch längst erfüllt. Er war Werksleiter beim Daimler in Sindelfingen, mehr hatte er vom Leben nicht verlangt. Heute gilt er als einer der Strahlemänner der deutschen Wirtschaft, als „Mr. Mercedes“, als Hüter des guten Sterns. In der Autonation Deutschland eine Art Königsstatus. Und ausgerechnet ihm, der nach eigener Aussage nur Facts und Figures verpflichtet ist, wird eine geradezu visionäre Strahlkraft unterstellt.

In seiner transparenten Blässe mit dem vollen, nach hinten gewelltem Haupthaar erinnert er an den Schauspieler und Entertainer Danny Kaye, der vor allem durch leise Töne zu überzeugen wußte. Auch Hubbert wählt diese Variante der Selbstdarstellung. Dabei könnte er ganz anders auftreten, immerhin ist der Absatz von Mercedes-Benz in den letzten vier Jahren von 600 000 pro Jahr auf über eine Million gestiegen.

Dass er sich auch im Erfolg treu bleibt, hat nicht nur mit seinem Naturell zu tun. Es ist das Ergebnis eines über zehn Jahre währenden Lernprozesses an der Spitze eines Unternehmens, dessen Edel-Image durch strukturelle Schwierigkeiten Anfang der neunziger Jahre beträchtlichen Schaden genommen hatte. Jürgen Hubbert („Ich habe Mercedes verinnerlicht“) wuchs wie eine Flechte am Baum seiner automobilen Erkenntnis, in guten wie in schlechten Zeiten. Mit Grausen denkt er an die Umfrage von 1990 zurück, in der den Deutschen zu Mercedes nicht viel mehr als der Wackeldackel einfiel, welcher auf bundesdeutschen Straßen von der rückwärtigen Konsole nickte. Heute assoziieren die meisten einen Delfin, wenn es darum geht, die Marke im Tierreich zuzuordnen.

„Der Delfin ist mit extremen Sympathiewerten ausgestattet“, sagt Hubbert lächelnd, „das haben wir in der Vergangenheit nicht immer erleben dürfen.“ Und als sei es damit genug der satten Zufriedenheit, fügt er im gleichen Atemzug an: „Ich muss diesen Prozess natürlich halten, ich muss meiner Mannschaft gerade jetzt vermitteln, wie wichtig es ist, daß wir uns ständig weiterentwickeln. Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung.“ Als Bereichsleiter Organisation Geschäftsfeld Mercedes-Benz Personenwagen & smart (GFP), wie sein Beritt offiziell heißt, hat er inzwischen gelernt, auf der Woge des Wandels zu surfen. Manchmal scheint er selbst verblüfft, zu welcher Meisterschaft er es dabei gebracht hat. Seine vor acht Jahren mit der C-Klasse eingeleitete Modelloffensive ist zu einem veritablen Angebotsstrauß geworden. Demnächst kann Mercedes vom smart bis zum Maybach jeden gewünschten Stern vom Himmel holen.

Ein Wunder möchte Hubbert in dieser Entwicklung nicht sehen, einer wie er glaubt nicht an Wunder. Facts und Figures. „Fakt ist, daß wir 1992 in eine sehr kritische wirtschaftliche Situation geraten sind. Unsere Produkte waren überaltert und es war erkennbar, daß man mit 600 000 verkauften Autos nicht überleben kann. Wenn die C-Klasse nicht erfolgreich gewesen wäre, ich weiß nicht, wohin die Situation geführt hätte.“

Direkt auf den Grund des Meeres vermutlich, denn Jürgen Hubbert trug zum damaligen Zeitpunkt fünf Mühlsteine um den Hals, die einen normalerweise ersäufen, wie er sagt. „Wir haben sie einen nach dem anderen abgestreift: die A-Klasse, die M-Klasse, den smart und einige Grundsatzentscheidungen, wie die zum Bau unseres brasilianischen Werks. Rückblickend kommt es mir vor, als habe ich diese Krise für die eigene Persönlichkeitsentwicklung sehr nötig gehabt.

Er erinnert sich an die Pressekonferenz in Renningen nach dem Elchtest, als Spiegel TV ihm neunmal vor laufenden Kameras eine Rücktrittserklärung abverlangte. „Da wird der Mund trocken. Was machst du jetzt? Haust du ihm eine rein, läufst du weg? Der Herr Wickert hat mich unter fadenscheinigen Gründen in die Tagesthemen eingeladen, um mich dort mit neuen Bildern des Elchtests zu konfrontieren. Plötzlich stand ich vor aller Öffentlichkeit als jemand da, der sein Geschäft nicht versteht. Da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder schmeißt man hin, oder man sagt, ich nehme die Verantwortung und bringe das in Ordnung.

Er hat das in Ordnung gebracht, die A-Klasse ist ein Hit, über 500 000 sind bisher vom Band gelaufen. Damals soll er gesagt haben: „Ich bin Techniker, und für manche Arten von Geschäft eigentlich zu ehrlich.“ Wie war das gemeint? „Mir liegt es nicht, Dinge am Rande der Wahrheit zu verkaufen. Ich betrachte die Fakten und ziehe meine Schlüsse. Das ist ein Mangel, es kann aber auch eine Stärke sein. Der spontane Produktionsstopp und die Nachbesserung haben uns mehr Sympathiewerte eingetragen, als wir vorher hatten. Wir haben Zeichen gesetzt und ich bin erschrocken, wie wenig der eine oder andere Konkurrent daraus gelernt hat.“ Gruß nach Ingolstein, Gruß nach Detroit.

Jürgen Hubbert jedenfalls hat gelernt, dass die Mediengesellschaft auch in der Wirtschaft nach Personen sucht, an denen sie ihre Urteile und Vorurteile festmachen kann. Als erste Kritik an der A-Klasse aufkam, hatte er sie noch als „hirnrissig“ kommentiert. „Ein ähnlicher Fauxpas wie der berühmte Spruch von den Peanuts. So etwas würde mir heute nicht mehr passieren.“ Heute habe jemand in seiner Position nicht nur Fachkompetenz zu beweisen, er müsse auch in der Lage sein, diese zu kommunizieren. „Aber Kommunikation wird nicht gelehrt, sie wird im gehobenen Management in den meisten Fällen nicht einmal verinnerlicht.

Was macht einen erfolgreichen Unternehmer in seinen Augen aus? Hubbert zögert nicht lange: „Er muß eine Vision haben, er muß sein Herzblut in die Themen investieren. Anders geht es nicht.“ Wie sieht seine Vision aus? Ist der eigene Konzern nicht gerade dabei, die frische Strahlkraft des Sterns im Globalisierungspoker zu trüben? „Nein. Die Prämiumstellung von Mercedes ist vom Vorstand ausdrücklich herausgehoben worden. Ich habe jeden Freiraum, um Mercedes da zu halten, wo wir heute sind. Es gibt für uns allerdings ein natürliches Limit. Das erste was sich die Menschen auf den neuen Märkten vielleicht wünschen, ist ein Mercedes. Aber die wenigsten können sich einen leisten. Mit Chrysler, Mitsubishi und Hyundai stellt der Konzern sicher, daß er mit dem richtigen Produkt im richtigen Segment vertreten ist.

1,2 Millionen verkaufter Fahrzeuge pro Jahr, das kann er sich vorstellen. Es werden überraschende Autos sein, denn Jürgen Hubbert ist hungrig. Hungrig nach neuen Kunden. „Schon das Sportcoupe auf der Basis der C-Klasse, das wir gerade in Paris vorgestellt haben, polarisiert. Die Traditionalisten sagen, das kann Mercedes doch nicht machen, aber andere jubeln: endlich ein Stern auch für mich!“ Das gefällt ihm. Hubbert spielt gerne mit den geheimen Wünschen einer potentiellen Klientel. Er verfügt über ein untrügliches Gespür für Nischen, in denen der Stern in die Poolposition fahren kann.

Wurmt es ihn eigentlich, daß Mercedes trotz seines Formel-1-Engagements und trotz aller zur Schau gestellten Dynamik auf dem Sportwagensektor am Porsche-Image nicht zu kratzen vermag? „Wir verkaufen mehr SLK als die gesamte Produktion in Zuffenhausen,“ antwortet er, „warum sollte mich das wurmen? Mercedes definiert die Spitze im Sportwagensektor anders als die Kollegen: maximaler Komfort, Sicherheit und Schnelligkeit. Allerdings beginnen sich die Fronten zu verwischen, man muß schon relativ genau mit dem Finger auf seine Kunden deuten.“

Jürgen Hubbert hebt die Hand, als bitte er darum, der folgenden Ausführung besonderen Glauben zu schenken: „Ich möchte, dass Porsche solange wie möglich unabhängig bleibt. Ich gönne den Kollegen ihren Erfolg und ich werde nie ein Auto bauen, das ihnen das Wasser abgräbt.“ Klingt generös, verrät aber gleichzeitig, daß dies natürlich jederzeit möglich wäre. „Porsche und BMW waren für uns Wettbewerber, an denen wir uns gemessen und gerieben haben. Das hat uns besser gemacht, zum Vorteil des Kunden.“

Jürgen Hubberts Vertrag läuft im Jahre 2003 aus. Möglich, daß er noch einmal verlängert. Über seinen Ruhestand macht er sich wenig Gedanken, schon aus Vorsorge nicht. „Es gibt noch soviel zu tun, denken Sie an die Entwicklung alternativer Antriebe, an den Einsatz neuer Materialien, an Recycling-Fähigkeit und Sicherheitsstandards. Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir die Pace setzen können, was Veränderungsprozesse angeht. Wir werden das lernende Auto entwickeln, das sich an die Fahrweise seines Fahrers anpasst. Kommunikation wird eine bedeutende Rolle spielen – Web in the Car und Car in the Web. Ich bin überrascht, dass es nach mehr als 35 Jahren intensiver Arbeit immer noch Möglichkeiten gibt, die Last ein bisschen zu steigern.“

Er schaut verschmitzt und seine Augen werden blank wie die eines Steifftieres. Wie kommt ein Vernunftmensch wie er eigentlich dazu, Plüschtiere zu sammeln? „Das ist eine sehr emotionale Story“, gesteht er. „Ich habe zu meiner Geburt einen Teddy bekommen. Er war das einzige, was nach zweimaligem Ausbomben und dem Verlust meiner Eltern übrig geblieben ist. Irgendwann habe ich angefangen, andere Tiere um ihn zu gruppieren. Noch heute gehe ich auf Flohmärkte und auf Auktionen, um nach seltenen Exemplaren Ausschau zu halten. Psychologen würden dahinter sicher etwas vermuten, mir gefällt es einfach.“

Irgendwann wird Professor Hubbert unter seinen dreitausend Steifftieren sitzen, sich seinen Lieblingsteddy greifen und sagen: „Teddy, die Welt dreht sich auch ohne mich weiter.“ Wahrscheinlich wird dies eine der wohltuendsten Erkenntnisse sein, die er jemals bekommen hat. Facts und Figures eben...

Der Artikel erschien in der Zeitschtift Auto-Forum

"Der erste Eindruck, den das Nilpferd auf den Betrachter macht, ist kein günstiger.“ Roger Willemsen zitiert diesen Satz des Alfred Edmund Brehm mit sichtlichem Vergnügen. Weiß er doch, dass Brehm sich vom ersten Eindruck nicht täuschen lässt, dass er auch dem „Flussschwein“, wie es von den alten Ägyptern abfällig genannt wurde, auf liebevolle Weise gerecht wird. „Dieser Mann hat einen Blick auf die Tiere kultiviert, der die Tierberichterstattung revolutionierte. Grzimek, Horst Stern und andere– sie alle wären ohne Brehm nicht denkbar.“

 „Brehms Tierleben“ entstand zwischen 1864 und 1869 und machte seinen Autor weltberühmt. Das umfangreiche Werk gehört noch immer zu den größten Bucherfolgen aller Zeiten, auch wenn sich der zehnbändige „Originalschinken“, an dem die Forschung jahrzehntelang herumgekrittelt hatte, schon lange als bleischwerer Ladenhüter erwies. Ausgerechnet Roger Willemsen, dessen charmant-intelligente Plauderstunden dem Fernsehpublikum noch aus „Willemsen Woche“ in bester Erinnerung sind, der sich danach mit der „Afghanischen Reise“ und dem Buch „Hier spricht Guantánamo“ als engagierter Streiter für die Menschenrechte geoutet hatte, fühlte sich verpflichtet, den Klassiker zu entstauben. „Ich habe gedacht, dies ist ein Hausbuch, das gehört in jede Bibliothek.“

 Willemsen, der in der deutschen Medienlandschaft lange Zeit als Vorzeigeintellektueller gehandelt wurde, machte sich in mühevoller Kleinarbeit daran, das großartige Vermächtnis des Alfred Edmund Brehm zu straffen und zu bürsten. Er hat das Buch von dem halbwissenschaftlichen Gerümpel bereinigt, es dort auf Vordermann gebracht, wo sich der Autor durch wissenschaftliche Exkurse, Querverweise und Fremdzitate verrannt hatte. An Brehms Schreibstil hat er sich jedoch nicht vergriffen. Dafür war sein Respekt vor der schriftstellerischen Leistung dieses Mannes zu groß.

 Er verweist auf das Buch „Wert und Ehre deutscher Sprache“ von Hugo von Hofmannsthal. „Darin hat Hofmannsthal Beispiele von vorbildlicher deutscher Prosa versammelt. Und wer ist dort als der Vertreter von Wissenschaftsprosa genannt? Der alte Brehm! Die Kenntnisse über die Tiere mögen sich in einzelnen Fällen überholt haben, aber der Sprachgenuss, die Feinkörnigkeit der Sprache, der Genuss an der Bildlichkeit, der Sinnlichkeit, der Art, Sätze zu bauen, der Art, unsere Wahrnehmung zu organisieren, der ist hinreißend.“

 Am Ende hat sich Willemsen auf 91 Arten beschränkt. Säugetiere, Vögel, Kriechtiere, Lurche, Fische, Insekten oder die sogenannten Niederen Tiere wie der Regenwurm oder die Staatsqualle – der Brehmsche Kosmos blieb in dieser Neufassung im wesentlichen erhalten. „Jeden Königsweg zu einem Tier kann man über dieses Buch begehen,“ sagt Willemsen nicht ohne Stolz. Er war schon als Kind ein ausgesprochener Tiernarr. „Ich wuchs am Waldrand auf, bin um fünf Uhr aufgestanden und habe vom Hochstand aus beobachtet, wie die Hasen und Rehe aus dem Wald kamen. Es gibt diese pathologische Liebe des Kindes zum Tier, die von einer bestimmten Form von Beseelung ausgeht. Diese Kinderreligiosität habe ich sehr stark gehabt.“

 Brehm war der erste Tierforscher, der am lebenden Objekt geforscht hat und nicht an toten Präparaten oder Tieren in Gefangenschaft. Er reiste für seine Studien von Lappland bis Abessinien, von Sibirien bis in die USA. Vor Brehm waren Tiere für die Wissenschaft nichts als seelenlose Wesen, die fraßen, schliefen, sich vermehrten und von wenigen Instinkten durch ihr Dasein gezogen wurden. Die Natur galt als göttlicher Maschinenpark und die Tiere als gefühllose Wesen, denen der Himmel versperrt war.

 „Es war Brehm,“ sagt Willemsen, „der den Tieren erstmals Charakter und Würde gab. Er wurde praktisch zum Prisma, durch das wir einen völlig neuen Blick auf die Tierwelt werfen konnten. In Brehms Sichtweise fließen Naturliebe und der Wunsch nach Naturerhaltung unmittelbar ineinander. Das ist das Schöne. Wenn Sie etwas so lieben, etwas so fühlen können wie er, dann werden Sie es erhalten wollen. Insofern ist Brehm eine gute Vorlage für Menschen, denen es um die Erhaltung der Natur geht. Seine Leidenschaft, sein Enthusiasmus, die nicht endenwollende Neugier sind vorbildlich, gerade in unserer Zeit, wo eine Art nach der anderen für immer von der Erde verschwindet.“

 Wie alle Propheten hatte auch Alfred Edmund Brehm einen schweren Stand, trotz oder gerade wegen seines immensen Publikumserfolges. Der Mann wurde sein Leben lang als Populärwissenschaftler diffamiert, seine Forscherkollegen ließen kein gutes Haar an ihm. „Als Mensch ist Brehm in mancherlei Hinsicht ein trauriger Fall,“ gesteht Willemsen. „Aber er hat sich zu keiner Zeit irritieren lassen. So hat er zum Beispiel immer darauf gedrungen, dass die Ausgaben illustriert wurden, er wollte immer die direkte Anschauung vermitteln.“

 Diesem Anliegen fühlte sich auch der Verlag und der Autor bei der Neufassung verpflichtet. „Als Illustrator haben wir den wunderbaren Klaus Ensikat gewinnen können,“ schwärmt Willemsen über den ungekrönten König der deutschen Buchillustratoren, der in der DDR eine Institution gewesen war. „Er hat das auf eine so mitfühlende Art gestaltet, dass man jedes Foto dafür wegschmeißen möchte. Ensikats Zeichnungen sind sensationell, sie entsprechen total der Brehmschen Prosa.“

 Roger Willemsen, der dem deutschen Fernsehen einige unvergessliche Glanzlichter aufgesetzt hat, gesteht, dass er von allem, was das Fernsehen heute zu bieten hat, am liebsten Tierdokumentationen sieht. Beim betrachten dieser Filme könnte er manchmal heulen vor Glück, sich aber auch schlapp lachen. Es ist die Unschuld der Tiere, die ihn das Mysterium der Schöpfung erahnen lässt.

 Mir fällt immer auf, dass ich in den Tierdokumentationen das nicht Dressierte suche. Das ist erfrischend, weil doch die gesamte Fernsehwelt inzwischen dressiert ist, alle Moderatoren, alle Gäste... Bei den Tieren denke ich immer, wo geht der Pinguin jetzt hin? Links oder rechts? Oder taucht er ab?“

Willemsen ist nicht abgetaucht. Er hat sich eine feine Arbeit gegönnt, die einen großen Klassiker für viele Menschen wieder zugänglich macht.

Diese Rezension erschien im Hamburger Abendblatt

Good is a Disaster

Each morning when Ingeborg zu Schleswig-Holstein enters her studio, she is balancing a huge stack of newspapers. The diligent reading of Germany s most important newspapers is a wellestablished ritual. »I am very interested in politics«, she states. »In my opinion, you have something to say only if you are wellinformed.« While imbibing printed matters page after page, she is enjoying a self-imposed break before the nervous energy which has been accumulating in the artist, will demand a way out and seek to express itself.

We are in her studio in Hamburg. A studio that resembles a sports hall, at least as far as its vastness is concerned. The glass ceiling allows the light to pour in and illuminate the paint-splattered floor tiles, creating an effect similar to that of a color-bursting desert right after a torrential rain. A whole row of large-scale paintings are leaning against the studio walls, awaiting their last and definitive brush-strokes. »I am constantly working simultaneously on several paintings«, explains Ingeborg zu Schleswig-Holstein and pours another cup of delicious Earl Grey tea whose wonderful scent she seems able to imbibe by the liter. »Being involved with just one painting at a time would be catastrophical. I prefer to steer things left, right and center and divide my emotions equally.«

Ingeborg zu Schleswig-Holstein is a delicate woman, remindful of something wrought in filigree. She is also confidently grounded in style and sophistication which inform her physical movements and her verbal expressions. Speaking about her work, she becomes increasingly intense, verbally finely-structured and physically present until she has condensed herself, it seems, into one expressive set of eyes inviting viewers and visitors to join her on a stroll behind the stage props of visible forms. It is an invitation of a special kind. Listening to her speak so openly about her creative agonies indicates not weakness but, in fact, a personality so utterly not vain to realize that the role of her talent is one of transformer for divine knowledge. You cannot help but feel humble yourself at this point;otherwise you risk falling off the board surfing the waves of inspiration. Anybody whose personality and character are dominated by vanity and egotism will never live up to the real task of the artist which the writer Franz Kafka once defined as leading an isolated mortal existence into the realms of infinite life. Ingeborg zu Schleswig-Holstein understands this and has taken his challenge on. Her studio is her battlefield. This may sound more dramatic than it actually is since the word refers simply to the constant examination of what constitutes a harmonious and consistent expression. The Greek philosopher Heraklit once said that nobody steps into the same river twice, meaning that everything is in flux at all times. Countering the raging river of life with still-lives of statues which have the power of symbols is the form of art that Ingeborg zu Schleswig-Holstein feels committed to.
In the 1980s she worked as Andy Warhol s assistant at his Factory. She was impressed by the easy touch the master of surfaces applied when it came to accentuating. »There were three of us«, she remembers rather gleefully, »stretching canvas, priming canvas, also painting on it.We assumed that what he could do we could do as well. But then he would walk past, changing a little bit here, improving a little bit there. The difference was astounding.What had been good before became brillant. Good is not good enough in art. In fact, good is a disaster.« The time she spent with Andy Warhol proved to be enormously instructive. »Not in the sense that he would teach you something«, she explains. »He was not the type to teach you. You took what you needed or you didn t. He certainly is one of the greatest artists of the last century which was something we failed to see at the time.We were simply too close. I would compare it to your own father getting the Nobel Prize and you thinking,boy, you struck lucky, Dad, didn t you, because how, as a child, you have seen your father being really difficult at home at times.«

That Ingeborg zu Schleswig-Holstein would later venture diametrically opposed to Warhol artistically by putting the outward appearance of things more or less on their head must be a result of the creative potential which was her very own from the outset. Even as a a child colors appeared in odd disguises.An eightwas red, a four was yellow. The five had a strange blueish-brown tinge which she did not like at all. »My fifth birthday became a serious problem«, she recalls. »I refused to leave the warm yellow aura of the four so I simply ignored my true age and claimed to be either four or six. Six is a light green.« Incidentally, her laughter sounds like a yellow canary.

For Ingeborg zu Schleswig-Holstein, music is equally invested and notes swirl around to create a single color composition. »Shostakovitch is where it is at its most extreme«,says Ingeborg zu Schleswig-Holstein and it sounds, oddly, like a confession. At times, the color attacks are so powerful that she has no other choice but to flee.The Hamburg premiere of »Time Rockers« by RobertWilson proved to be such a powerful incident. »The stage was decorated in exactly the same shade of blue which I had been trying to eliminate all day while working in the studio. I had no other choice than to leave, unfortunately.

Back then Ingeborg zu Schleswig-Holstein and Robert Wilson hadn t met. Today, they are friends. »I have often attended his rehearsals and also visited him in England.The similarity with which we both view colors is rather striking. Wilson works with light. What I do with a brush he does with light. It is fascinating and highly instructive at the same time to watch him.« Together, the director and the painter have created a stage set for an opera which is awaiting its premiere.
How the various arts can stimulate each other while interacting is an experience Ingeborg zu Schleswig-Holstein made when she worked with the Polish composer Augustyn Bloch. He was inspired by her cycle of paintings »Weg ins Licht« (Way into the Light) which she created for Hamburg s church Sankt Katharinen, to create his spiritual oratorium entitled »Denn Dein Licht kommt« (And Your Light Cometh) composed for grand choir, grand orchestra, and soloists. It premiered in 1988 during the Schleswig Holstein Musik Festival in the church of Sankt Katharinen. Working with Bloch entailed several trips to Poland. After visiting Auschwitz which caused a dismay she never before or since felt so intensely, she also visited the grave of the Polish priest Jerzy Popieluszko who was murdered in 1984 by the Polish secret police. The grave was then off-limits to ordinary Polish people yet it was illuminated constantly by hundreds of candles which people on their pilgrimage to the grave had left behind. Others who had not known the priest personally at all were holding wakes at the site.

»What Augustyn and I attempted to do was to create a requiem for Popielusko, a requiem for hope, which is founded on the victory of love, the immortality of man and the freedom which the love of God for mankind actually means.« Ingeborg zu Schleswig-Holstein decided on a room installation of twelve wooden crosses with borders in different colors and called it a meditation on the Cross. The image and sound composition entitled »Du sollst nicht töten« (Thou Shalt Not Kill) premiered in 1992 in Lübeck s church of Sankt Petri, once again as part of the Schleswig Holstein Musik Festival. By that time, the winds of change had finally reached Poland: Not only was the premiere attended by a delegation from the Polish parliament. The family of Jerzy Popieluszko came all the way from their little hamlet near the Russian border. The requiem, which was later also staged in Warsaw, was not the last collaboration between Bloch/Schleswig-Holstein. Two more works came out of this collaboration, »Empor« (Upwards, 1992) and »Ein Gebet für Danzig« (A Prayer for Gdansk, 1997).

But let me return you now, if I may, into the studio in Hamburg.The well-worked canvasses are happily stretching themselves beyond their confines in the shower of light provided by the afternoon sun. They look completely harmless and void of any danger at all. But the painter knows very well how treacherous their peaceful attitude is. Right now, she is beyond ignoring them but not for long. While my eyes are moving from one half-finished object to the next, comes the sudden comment: »Colors have a life of their own. They have the ability to stimulate each other but can also cancel each other out. I have to call them to order more or less!« This statement is accompanied by her trademark cheerful laughter. She finds her role of disciplinarian in the studio highly comical.

»When I paint, my role of mistress of the castle is a limited one«, she explains. »It is more like opening the cages in a zoo with the animals,fed by their urge to move about freely,consequently being all over the place. When I start on a painting, I am opening the color cages. My task is to put order to the ensuing chaos. But I never quite know in the beginning what this particular order will look like once it is accomplished. I can never figure out who does what. And who will win is completely out in the open. Sometimes, there is quite a bit of friction. But without this fight I could just as well forget about the results, because if there is no fight, nothing powerful will come from it in the end.«
Ingeborg zu Schleswig-Holstein prefers to fight it out at night and amidth complete stillness, finding herself surprised over and over again by the temperament of the colors. »Yellow, red, white  they possess different tempi. Blue has none, blue is stagnant. The various speeds add movement,« she finds, »therefore they have an energy that cannot be switched off.« The level of correspondence between colors exists on a time-scale but Ingeborg zu Schleswig- Holstein also notices their correspondence on the level of value. »Red is much stronger and expansive than blue. Blue has to hold red without dominating it and there must exist a way to bring in red without killing blue. It is not easy to master such powers. Colors are there to stimulate each other instead of getting into each other s way or even destroying each other. Colors provide energy, much the same way than vitamins do.«

Whether an artwork is a success or a failure is a decision the artist prefers to make herself. »The only decisive factor is what I myself know, never mind how much other people may like something.« If other people like it so much that public hymns of praise ensue her alarm-bells go off as a result. »Sometimes I devote years to one particular topic. And if that topic finds acceptance all of a suddenI have to quite literally run and run fast. Acceptance is my gauge for danger.«
She likens the creative process to the work of an explorer.The point of departure is where the result of her previous work has brought her. What has been established, for a tiny moment, as the valid result is now feeding-ground for something new. »But then everything turns out to be different, complicated, alien,« says Ingeborg zu Schleswig-Holstein, »the search is starting anew with all the feelings of being lost, insecure, desperate. I have to descend deep into this valley and only when I have come out at the other end,has the painting become the opponent, demanding and receiving a personality of its own, asking, there is no other way of putting it, for its own free will. I pretty much end up asking the picture where it wants to go. It becomes the one who is providing answers. An artist does not invent , he discovers.« Images with which she has made her peace, will receive the stamp of quality which is her signature. The signature removes such images from the arena. »But sometimes it happens that I put them back in and remove the signature. I tell myself that I can do better. The fact is that I am not very good at accepting final stages.«

Downright sceptical becomes her attitude should the work on canvas produce an exceptionally well-made part. There is only one thing to do now: paint it over! »Otherwise I will end up in front of it like the rabbit watching the snake constantly worrying about destroying something exceptional. If details take over the work that is still to come, then this is not beneficial for the painting. If I paint something over, it is not gone forever, it is simply no longer visible. It serves what accidently remains, as if it were humus soil. In fact, this humus which shines through, defines the personality of a painting.«

Ingeborg zu Schleswig-Holstein is aware that her paintings are unique. Nobody will ever be able to copy them. »Because of my height« and now she looks down at herself in mocking gentleness, »they possess a characteristic style and flow. Every swing and flourish the paint-brush makes is a result of the length of my arm. If I was taller, my paintings would look different. Imagine a cello-player  would his fingers grow over night, he would have to learn to play the instrument from scratch.«
Has she ever experienced a creative crisis like writers unexpectedly experiencing writer s block? She shakes her head, gently, as if she has never before pondered this question. »No«, she ventures after a while, »of course there are less productive times but I have never experienced a creative abyss.« Naturally, her paintings reflect what happens around her. »When my father died, I only painted in white.«

How brillant her paintings actually are, becomes apparent on a visit to Hamburg s church of Sankt Katharinen, a gothic basilica built in brick dating back to the 15th century. In the late 1980s, the blind windows in the clerestory of the nave received a cycle of paintings in which she aimed to make the original course the light would take visible again. This work was, interestingly enough, not a commissioned piece. Rather, Ingeborg zu Schleswig-Holstein fought for it. »I looked at the church and discovered its blind windows. I then presented my ideas and was finally given the go-ahead under the premise that I would take my paintings down after three months should people not like them.« There was no support to speak of: The bishop, the ministry of culture and the curator of monuments were only prepared to let her know that they would put nothing in her way should she agree to these working conditions.

In fact, the paintings turned out to be very successful, hanging to this day and having become an integral part of Sankt Katharinen. And one day Ingeborg zu Schleswig-Holstein received a call from the very influential Hamburg-based banker Erich Warburg who wanted to let her know how much her work helped him through a memorial service held in the church.What nicer and more impressive compliment for one s work is there?

Ingeborg zu Schleswig-Holstein quotes a psalm from the Bible: »Oh Lord, please teach us to remember that we are mortals.« Another cup of the wonderfully scented Earl Grey is poured while she adds: »If at the end there is nothing left but love, I should think that a very good outcome indeed.

Dieser Artikel erschien in dem Katalog zur Ausstellung der Künstlerin in der Erimitage von St. Petersburg

Die Fahrt vom Münchner Flughafen in die City dauert so lange wie der Flug ins Erdinger Moos. Der Taxifahrer quält sich hinter einem Viehtransporter durch den obligatorischen Stau. Ich benutze die Gelegenheit, um ein ziemlich deprimierendes Buch zu Ende zu lesen: "Ausweitung der Kampfzone" von Michel Houellebecq. Der Autor wird von den Feuilletons gerade als literarischer Heilsbringer gefeiert. Sein Roman schließt mit den Worten: "Ich spüre meine Haut wie eine Grenze; die Außenwelt ist das, was mich zermalmt. Heilloses Gefühl der Trennung; von nun an bin ich ein Gefangener in mir selbst. Die sublime Verschmelzung wird nicht stattfinden; das Lebensziel ist verfehlt. Es ist zwei Uhr nachmittags."

Es ist elf Uhr vormittags, als ich den Drehort erreiche. Fotograf Stefan Beets ist schon da. Das Haus in der Ismaninger Straße 68 wird gerade mit Kabeln, Kameras und Scheinwerfern gestopft. Heiner Lauterbach, so erfahren wir, wartet um die Ecke in einem Wohnmobil auf seinen Einsatz. Ein junges Mädchen bringt uns hin. An der Tür die Initialen H.L. Sie steckt den Kopf hinein und bittet uns um zehn Minuten Geduld, da Herr Lauterbach gerade mit der Gala spreche, danach stünde er aber zur Verfügung. Seine Agentur hatte uns vorher mitgeteilt, dass er uns nur in den Drehpausen empfangen will. In seiner Privatzeit gebe er keine Interviews. Wir warten artig unter einem tropfenden Baum.

Nach einer Viertelstunde öffnet sich die Tür des Wohnmobils, wir dürfen eintreten. Lauterbach entschuldigt die Verzögerung, aber der Promotionaufwand, den er vor der Ausstrahlung des ARD-Zweiteilers "Der Verleger" zu leisten habe, sei enorm. Gesternnacht noch war er bei Biolek in Köln, seitdem habe er gerade drei Stunden geschlafen. Dafür sieht er erstaunlich frisch aus, abgesehen von den leicht getrübten Augen. Ist er laut Vertrag verpflichtet, ein gewisses Pensum an Öffentlichkeitsarbeit auf sich zu nehmen? "In den Verträgen steht, dass man zu Promotionzwecken zur Verfügung stehen soll", sagt er und füllt den Pappbecher mit Rotwein, "Jetzt kann ich natürlich sagen, ich habe zu all diesen Terminen keine Zeit, niemand könnte mir einen Strick daraus drehen. Aber am `Verleger` liegt mir viel. Ich glaube, dass der Film sehr gut geworden ist."

Die Rolle des Axel Cäsar Springer war die größte Herausforderung in seiner bisherigen Karriere. Lauterbach verkörpert den Hamburger Zeitungszaren über vier Jahrzehnte hinweg. Vier verschiedene Toupets wurden geknüpft, 24 Maßanzüge geschneidert. Fünf Stunden saß er zum Schluß täglich in der Maske, bevor er den 68jährigen Verleger geben konnte. Produzentin Regina Ziegler bezeichnet Lauterbach schlicht als Glücksfall. Kein Journalist wollte ihr nach der ersten Pressevorführung des Streifens widersprechen.

Der Film, laut NDR kein Doku-Drama, sondern ein reiner Unterhaltungsfilm mit "vielen Freunden, vielen Feinden, viel Glück, viel Unglück", beginnt unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, als der junge Springer mit der "Hörzu" seinen ersten Erfolg erzielte. Er endet 1980 fünf Jahre vor seinem Tod mit dem Selbstmord seines Sohnes, der den Vater als gebrochenen Mann hinterließ. Fünf Ehen, zahllose Geliebte, Springers unbeirrter Kampf für die deutsche Wiedervereinigung, der ihm den Spott seiner Gegner einbrachte ("Der Brandenburger Tor"), sein vehementes Eintreten für eine Aussöhnung mit den Juden, sein Hang zu Mystik und Astrologie, seine Frömmigkeit, seine Depression – das hat fürwahr Filmqualität.

"Axel Springer verkörpert vieles, was ich gut leiden mag", sagte Lauterbach dem Spiegel, "Springer war Patriot, er wollte Unrecht wieder gutmachen, und er hatte mehr als zwei Freundinnen – so wie ich." Ein Bote bittet ihn an den Set. Heiner Lauterbach war gerade 16 Jahre alt, als Berlins Studenten auf dem Kudamm vor den Wasserwerfern der Polizei "Enteignet Springer!" skandierten. Damals las der Klempnerlehrling aus Köln beim Frühstück in der Bild-Zeitung von einer "kleinen, radikalen Minderheit", die die Frontstadt in Angst und Schrecken versetzte. Sonderlich beeindruckt hatte ihn das nicht, der Sportteil war ihm wichtiger.

Lauterbach war gegen die Empörung der 68er gefeit – durch die Gnade der späten Geburt. Nicht umsonst rekrutierte die spätere Spaßgesellschaft ihre ersten Protagonisten aus seiner Generation  Mit der Privatisierung des Fernsehens brachen auch in Deutschland die Dämme des Privaten. Quasi über Nacht gewöhnten wir uns an den aufgeregten Exibitionismus neuer Formate. Inzwischen sind wir ein Volk von Voyeuren geworden, das ein Recht zu haben glaubt auf eine tägliche Injektion Glamour und Tratsch. Heiner Lauterbach ist in dieser Melange eine feste Größe, wie Verona Feldbusch, Dieter Bohlen oder Naddel.

Das gesellschaftliche Parkett, auf dem man sich kostenlos aber gewinnbringend in Szene setzen oder nach Belieben ausrutschen konnte, mußte den jungen Schauspieler reizen. War er nicht von seinem Talent überzeugt? Und war er nicht jung? Er hatte ein Recht, auf die Kacke zu hauen. Die Amis hatten damit kein Problem, die schätzten geniale Knallchargen wie Mickey Rourke, die sich einen Dreck um irgendetwas scherten.

Heiner Lauterbach kehrt zurück. Er bringt zwei Schachteln Zigaretten mit. Ein kaum merkliches Lächeln spielt um seinen Mund, als könne er meine Gedanken lesen. Was ist so reizvoll daran, sich permanent zum Gesprächsthema zu machen, frage ich ihn. "Meinen Sie die Macho-Kiste? Die ist so unverrückbar wie der Kölner Dom", antwortet er. "Der ganze Trubel begann mit dem Film `Männer`. Damals hatte ich mich blauäugig dafür entschieden, mein Herz auf der Zunge zu tragen, ein bißchen Aufrichtigkeit an den Tag zu legen, auch im Umgang mit Journalisten. Das würde ich heute anders handhaben. Aber jetzt liegt das Kind im Brunnen, jetzt kann ich auch so weitermachen."

Seine Frau Viktoria ruft an, wir werden später miteinander essen gehen. Warum hat er seine Hochzeit vermarktet, warum dieser grobe Klotz aufs junge Glück? "Wir stehen damit ja nicht allein auf weiter Flur", verteidigt er sich. "Die norwegische Hochzeit war auch nicht sehr intim..." Das war eine Prinzenhochzeit! werfe ich ein. "Entschuldige mal", wehrt er ab, "Hochzeit ist Hochzeit!" Meint er das ernst? Scheint so. "Wir hatten diese klassischen drei Möglichkeiten", fährt er fort. "Las Vegas haben wir ausgeschlossen. Die zweite Möglichkeit wäre eine Hochzeit im kleinsten Kreise gewesen. Aber dann hätten uns garantiert Paparazzi aufgelauert und die Fotos teuer verkauft. Da haben wir uns lieber selbst für möglichst viel Geld verkauft. Das Ergebnis war ein kostenloses, rauschendes Fest."

Er steckt sich eine weitere Zigarette an. Vor nicht allzu langer Zeit erfuhr die Nation von seinem Herzkollaps und sorgte sich zutiefst. Welche Lehre hat er aus dem Keulenschlag gezogen? "Der Keulenschlag wurde ja nicht von den bösen Feinden Alkohol und Nikotin verursacht, sondern von einem Virus. Meine Herzkranzgefäße sind in Ordnung, meine Leberwerte jungfräulich. Ich hatte keinen Anlaß über meinen Lebenswandel nachzudenken."

Die Intensität, mit der Heiner Lauterbach Heiner Lauterbach spielt, ist das eigentliche Merkmal dieses Mannes. Was liegt näher, als sein Alter ego auf eine permanente Vergnügungsreise zu schicken, wenn man den Hunger nach Sinnlichkeit stillen muß, die in der knüppelharten Disziplin seines Jobs zu häufig auf der Strecke bleibt. Eine Frage der Balance sei das, sagt er, mehr nicht. Heiner Lauterbach ist einer der meistbeschäftigten deutschen Schauspieler. Neben seiner filmischen Tätigkeit spielt er Theater, synchronisiert, nimmt  Hörspiele auf. "Ich schöpfe das ganze Programm ab, ich will einfach nicht, dass es langweilig wird."

Die meisten Protagonisten der Spaßgesellschaft verbrauchen sich im Medienzirkus schneller, als betagte AKW-Gegner während ihres langen Marsches durch die Institutionen. Auch Lauterbach spürt erste Zerschleißerscheinungen. "Ich merke, dass ich älter werde, psychisch wie physisch. In vielen Dingen tritt so etwas wie eine Interessenverlagerung ein. Das ist ein ganz organischer Prozeß. Ich bin nicht umsonst aufs Land gezogen."

Es klopft an der Tür, seine Frau ist da. Ein Fahrer vom Filmteam fährt uns zu einem Sushi-Restaurant am Isartor. Als ihr Mann sich die Hände waschen geht, erzählt Viktoria, wie sehr sie seine Disziplin bewundere. Nie würde er Probleme von der Arbeit mit nach Hause tragen. "Manchmal steht er mitten in der Nacht auf und schreibt mir ein Gedicht", sagt sie, "oder er macht Musik. Er kann auch sehr schön malen..." Heiner Lauternach kehrt zurück und fährt ihr mit der Hand zärtlich  durchs Haar, während er sich setzt.

Was hat er von den zahlreichen Frauen in seinem Leben gelernt ? "Da würde ich mal mit meiner Mutter anfangen", sagt er. "Von der habe ich fast alles gelernt: essen, sprechen, zuhören, malen..." Er nimmt Viktorias Hand. "Sie hat mir sogar  beigebracht, wie man lieb zu Frauen ist", sagt er und lacht. "Im Ernst: ich finde, wir bräuchten viel mehr Frauen in der Politik. Bei den meisten Politikern habe ich das Gefühl, die sitzen vor ihrem Militärapparat wie Kleinkinder, denen man verboten hat, mit der Eisenbahn zu spielen. Frauen sind pazifistischer, unagressiver. Aber wenn man dann so eine wie die Thatcher sieht... "

Er greift zu den Stäbchen, die er virtuos zu handhaben weiß. Wir widmen uns dem Essen, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Ich könnte ihm Fragen stellen, er ist darauf vorbereitet, dies ist ein Pressetermin. Aber seine Antworten werden nicht sehr erhellend sein, dies ist ein Pressetermin... Das Schweigen stört uns nicht im Geringsten, auch Viktoria nicht. Im Gegenteil, es verströmt eine angenehme Ruhe, in der sich die Erschöpfung meines Gegenübers auf eine Art widerspiegelt, die sein sensibles Potential plastischer werden läßt als alle Verlautbarungen, die über ihn in Umlauf sind.

Nach dem Mahl legen wir uns ein heißes Tuch auf die Stirn. Guter japanischer Brauch. Die Lauterbachs wollen noch Möbel kaufen, bevor es wieder an den Set geht. Wird er irgendwann seine Biographie schreiben? "Ich wüßte schon einen Titel", sagt er und grinst: "`Nichts als die Wahrheit`. Das beeinhaltet natürlich, dass man die Wahrheit sagen muß. Und dies wiederum bedeutet, dass man den Beruf an den Nagel hängen kann, weil man vermutlich von keinem Menschen mehr besetzt werden würde. Nestbeschmutzung wird nicht verziehen. Mit so etwas muß man sich Zeit lassen bis alles in trocknen Tüchern ist, bis man nicht mehr auf die Film- und Fernsehbranche angewiesen ist. Aber es wäre schon interessant, die Wahrheit über unser Gewerbe ans Tageslicht zu bringen."

Er spricht bewußt in der dritten Person. Ein Rebell ist Heiner Lauterbach nicht, nie gewesen. Er könnte ihn spielen, den Rebellen, besser als andere. Er könnte jeden spielen, der das Gewicht der Welt auf sich geaden hat – Revolutionäre, Philosophen, Verleger. Privat aber ist er ein Produkt der Lenor-Gesellschaft: kuschelweich in jeder Attitüde. Aber auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung aller Künstler: man muß das Werk vom Menschen trennen. Heiner  Lauterbach ist ein bemerkenswerter Mime, er kann sich inzwischen aussuchen, mit wem er arbeitet. Gerade hat er ein Angebot von Nicolas Gessner bekommen, dem Regisseur von "Das Mädchen am Ende der Straße" mit Jodie Foster in der Hauptrolle. Würde mit seinem Namen auch mal einem unbekannten jungen Regisseur auf die Sprünge helfen?

"Ich hab das mehrmals gemacht", sagt er, "ich hab wochenlang umsonst gearbeitet und meine eigenen Diäten noch mitgebracht. Damit ist für mich das Soll an sozialer Verantwortung erfüllt. Seit geraumer Zeit denke ich nur noch ans Geldverdienen. Als Schauspieler bin ich ein Einmannbetrieb. Wenn mir morgen etwas passiert, dann muß ich von dem leben, was ich mir bis dato erspart habe." Herr Kaiser, übernehmen Sie...

Mein Haus, mein Boot, mein Weib. Ein zorniger junger Mann aus Deutschland, der auf die Frage, welchen Fehler er sich am ehesten verzeihe, einmal geantwortet hatte: "Zu große Lebenslust", der es in Bars, am Boxring und im Bett gerne "krachen" ließ, kommt in die Jahre und klopft in aller Ruhe die Pflöcke seines Gartenzauns fest. Verständlich ist das schon, denn wer träumte im Trubel der weltpolitischen Ereignisse heute nicht von Heinerles Mondfahrt?

Der Artikel erschien in der Berliner Morgenpost

Eine Entschuldigung an die nächsten Generationen. Von Eric Bihl und Dirk C. Fleck. Wir rekapitulieren unseren Weg von engagierten Kämpfern und Aufklärern zu gelassenen Zeitzeugen, die wie viele vor uns zu der Einsicht gelangt sind, dass die Menschheit das Wettrennen gegen die galoppierende Katastrophe bereits verloren hat. Warum waren wir nicht in der Lage, trotz der über Jahrzehnte hinweg ergangenen Warnsignale erfolgreich gegenzusteuern? Warum ließen wir es zu, dass unseren Kindern und Enkelkindern nichts als soziales Chaos und verbrannte Erde hinterlassen wird? Was sind unsere größten Unterlassungssünden und wie sind sie zu erklären? Sind sie überhaupt zu erklären? Fazit: das Phänomen der kollektiven Unvernunft kann wohl nur als Teil eines evolutionären Plans erklärt werden, den kein Sterblicher je verstehen wird …

Finale Bilanz: Was war, was ist, was wird? Über die Langzeitfolgen und das Kurzzeitgedächtnis. Ein Nachruf auf den funktionierenden Verbund des Lebens. Ein Blick zurück auf die kurzen Zeiten des Friedens, auf humanistische Ideale und auf alles, wozu Menschen sich hätten entwickeln können. Ein vorgezogenes Tribunal, das niemanden schuldig spricht, da wir doch alle in unseren kleinen individuellen Geschichten verstrickt sind und gar nicht über die geistigen und seelischen Voraussetzungen verfügen, um die unfassbare Endzeit der Hochzivilisation in unser bescheidenes Weltbild einordnen zu können. Im Unterbewusstsein macht unsere Psyche dicht. Auch eine Art der Rettung … Letztlich erteilen wir den Mitläufern, die sich in grandioser Unkenntnis auf dem Marsch in die Katastrophe befinden, Absolution.

Eine Hommage an die Warner und Propheten: In diesem Kapitel würdigen wir einige uns bekannte  und liebgewordene Mahner und weitsichtigen Denker, die seit Beginn der Industrialisierung rechtzeitig und immer wieder auf das kommende Desaster verwiesen haben. Die Personen werden mit kurzem Lebenslauf vorgestellt und sprechen für sich selbst - durch Originalzitate, die an uns alle gerichtet sind.

Verlorene Chancen: Beschreibung eines notwendigen aber versäumten Paradigmenwechsels.  Eine Art Stoßseufzer: warum begreifen wir nicht, dass die Natur ein ganzheitliches Wesen, ein einziges und einzigartiges System ist, das sich selbst reguliert und in dem die Eingriffe des Menschen ausschließlich Fehlgriffe sind. (Zitat Indianer)

Das wäre unsere Zukunft gewesen: Wir geben Denkanstöße für alle fünf individuellen Lebensbereiche, die der Mensch seit jeher hat regeln müssen: Energie, Mobilität, Nahrung, Kleidung, Behausung. Eine schöne neue Welt im Konjunktiv. (Zusätzlich die sieben gesellschaftlichen Lebensgrundlagen erwähnen). Von der lebenswerten Stadt über die neue Mobilität bis hin zu wahren demokratischen gesellschaftlichen Strukturen. Auf sämtlichen Feldern, die der Mensch zum Leben „bewirtschaften“ muss, sind genügend vernünftige Alternativen vorhanden.

Unterlasse Hilfeleistung – am Beispiel des Equilibrismus-Modellprojekts. Wer hat versagt? Und wer hat sich versagt? Wir nennen  sie beim Namen: Politiker, VIP`s, Medien und  Ökounternehmen. Die Geschichte eines gescheiterten Versuches, der vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklungen dringend den Erfolg gebraucht hätte, um einen positiven Dominoeffekt herbeizuführen. Die Geschichte dieses gescheiterten Projektes lässt folgende Frage offen: Warum hatten wir nicht die Kraft und den Mut,  mit geringsten Mitteln etwas auszuprobieren, was abseits des bestehenden und kollabierenden Systems eventuell Auswege aus der Krise aufgezeigt hätte. Was hatten wir zu verlieren? Wie im Kleinen funktioniert das Scheitern auch im Großen nach immer dem gleichen Muster, das sich aus den sieben schon in der Bibel genannten Todsünden zusammensetzt. Sollten wir uns nicht endlich die Wahrheit eingestehen, dass unsere vernunftbegabte Spezies zu dumm ist  zum überleben?

Wir entschuldigen uns im Namen der Tätergeneration bei unseren Kindern und Kindeskindern für das schreckliche Erbe, in dem sie sich einzurichten haben. Eine sehr persönliche Ansprache, von der ich hoffe, dass sie viele Leser und User unterschreiben werden. Die Entschuldigung richtet sich nicht allein an die Menschen der Zukunft, sondern ebenso an alle Tiere und Pflanzen, die mit uns die Erde teilen und denen wir respektlos und brutal begegnen, was mit der Idee der Schöpfung unvereinbar ist. Gleichzeitig wollen wir daran erinnern, dass die Schuld, die wir auf uns laden,  in einem System erfolgt, in dem der tägliche Überlebenskampf den Einzelnen  zwangsläufig zum Schuldigen macht. (Rousseau-Zitat). Unserer Entschuldigung an die Nachwachsenden fügen wir aber eine Frage bei: „Fragt euch in einigen Jahren bitte selbst, ob ihr den Restbeständen der Schöpfung mit Respekt begegnet“.
 
Zitat zum Abschluss: „Es stimmt nicht, dass gegen die Dummheit kein Kraut gewachsen ist. Es wird nur nicht angepflanzt!“ - Georg Christoph Lichtenberg

 

Prince Ea hatte die selbe Idee. Schaut euch sein fantastisches Video an: https://www.youtube.com/watch?v=eRLJscAlk1M

Lest bitte auch den "Brief an die Zukunft": http://www.equilibrismus.org/brief-an-die-zukunft/

CAMILLE CLAUDEL (1864 – 1943), eine französische Bildhauerin und Malerin, die an ihrer grenzenlosen Liebe zu Auguste Rodin  wahnsinnig wurde. Rodin wies ihre Liebe ab, weil er eifersüchtig war auf ihr enormes künstlerisches Talent.

https://www.youtube.com/watch?v=b4JAScrmD78

https://www.youtube.com/watch?v=1q4Pv7tJ4RY

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Zwei Hambürger