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Sabine Christiansen

Ach so ist das mit Sabine Christiansen: sie läßt eine andere für sich sprechen! Mit der eisernen Lady aus dem Fernsehen hat die Dame, die mich unter gleichem Namen zum Gespräch empfängt, nur in Umrissen zu tun. Auf dem Bildschirm  agiert eine Frau, die mit sprödem Charme unter illustren Gästen wie eine Eisscholle im Whirlpool wirkt. Ihr holzschnittartiges Gesicht mit den flinken Augen scheint nur eines im Sinn zu haben: Die Verkörperung des unbeugsamen Journalismus.

Es gibt Kollegen, die finden das lächerlich. "Zwitscher, zwitscher? Zwatscher, zwatscher!" überschrieb die Süddeutsche Zeitung eine "grundsätzliche Würdigung der Sendung `Christiansen`." Mit solch medieninterner Eifersucht macht sich das Fernsehpublikum nicht gemein. Jeden Sonntag schauen in Deutschland mindestens sechs Millionen Menschen zu und warten darauf, dass sich die Brüderles, Merkels, Hubers und Schlauchs unbotmäßig in die Parade fahren.

Die Frau, die mir gegenübersitzt, hätte es nicht nötig, derlei Gezänk energisch zu unterbinden – sie säße einfach da und ihre weiche Ausstrahlung würde so manches rüpelhafte Benehmen im Keim ersticken. "Komme ich im Fernsehen wirklich so anders rüber?" fragt Sabine Christiansen, als wüßte sie nicht, ob sie sich über das Kompliment freuen oder ärgern soll. Fakt ist, dass (falls es sich denn um ein und dieselbe Person handelt) ihr privater und öffentlicher Auftritt nicht unterschiedlicher sein könnte.

Seis drum. Sabine Christiansen hat sich in dieser Republik zu einer Schaltzentrale des politischen Diskurses gemausert. Bundespräsident Thierse sprach vor einigen Wochen gar davon, dass unter der Reichstagskuppel weniger Politik gemacht wird als unter der blauen Kuppel an der Budapester Straße. "Das ehrt uns", sagt meine Gastgeberin lächelnd, "aber politische Entscheidungen werden immer noch im Parlament getroffen. Allerdings setzen wir so manchen politischen Diskurs einfach auf die Tagesordnung."

Sie geht zum Schreibtisch und zitiert aus einem ZEIT-Artikel: "Das Parlament, hat Wolfgang Schäuble kürzlich gedrängt, müsse wieder zum nationalen Forum, zum  zentralen Ort demokratischer Debatten werden. Na Bravo! Nur schade, dass Schäuble sich einen Rückblick auf den Parlamentarismus der Kohl-Jahre verkniff. Es wäre ja wirklich zu fragen, ob es ein nationales Forum mit Sabine Christiansens Talk und Ähnlichem im Fernsehen nicht bereits gibt."

Der Artikel, den sie sich aus dem Internet gezogen hat, ist mit Unterstreichungen
und Ausrufungszeichen gespickt, als hätte sie den Autor für seine treffliche Analyse beim lesen umarmt. In ihrer Heimatstadt Kiel würde man sagen: Seht her, Kinnings,
genau das predige ich euch schon lange. "Unsere Politik wandert in die Bürgergesellschaft aus", sagt sie, "in die Konzernzentralen, an die Börsen, in die kleinen Netze oder gleich nach Europa. Das ist zum Teil gewollt, trotzdem fragt man sich immer wieder erschrocken: was haben wir da bloß wieder abgegeben? Nehmen Sie die Telekom. Wenn es früher Probleme gab, wurden die im Parlament diskutiert. Heute ist das eine Aktiengesellschaft, da hat man nichts mehr zu suchen. Die Telekom ist an die Bürgergesellschaft abgegeben worden. Dann muß diese aber auch darüber diskutieren dürfen. Und zwar mit ihren ureigenen Mitteln."

Sie blickt amüsiert aus dem Fenster. "Einst staatliche Unternehmen werden ins Privatleben entlassen", sagt sie, "der Aufstand der Anständigen wird angemahnt, Rentenvorsorge wie auch soziale Aufgaben abgegeben – alles an die Bürgergesellschaft, die sich ihrer Verantwortung durchaus bewußt ist. Das muß doch diskutiert werden! Die Politik müßte sich eigentlich darüber freuen, dass viele Themen wieder für ein großes Publikum interessant sind, die vorher in die Verantwortung des Staates abgeschoben wurden."

Keine Viertelstunde hat es gedauert, und schon schieben sich die beiden Figuren, deren Unterschiedlichkeit eben noch eklatant schien, zusammen. Das liegt an der  Stimme, die immer dann zu kühler Autorität neigt, wenn sie dem Diktat des Sachverstandes folgt. Weit mehr als im Fernsehen, das ihr jede Menge moderater Pflichten auferlegt, ist Sabine Christiansen eine temperamentvolle, intelligente, streitbare Frau, die sich ihrer Bedeutung durchaus bewußt ist. Dass sie diese Bedeutung unter anderem der chronischen Bewußtseinsstörung einer Männergesellschaft zu verdanken hat, gesteht sie bedingt ein. Bedingt. Denn abgesehen davon, dass sie in dieser Männergesellschaft das Glück hat, als "Quotenfrau" Karriere zu machen, wäre sie sich ihres Erfolges auch in einer emanzipierten Gesellschaft sicher.  

"Als ich 1987 bei den  Tagesthemen anfing, war das der einzig wichtige Platz im deutschen Fernsehen, auf dem eine Frau agierte", sagt sie. "Gemessen an der Vielzahl von Frauen, die heute journalistisch ausgebildet werden, sind wir immer noch extrem unterrepräsentiert. Das größte Frauendefizit in den Medien gibt es in den Chefetagen, egal ob Sie die Verlage, das Privatfernsehen oder die Öffentlich-Rechtlichen nehmen. Auf dem Bildschirm darf man schon, aber bloß nicht in die Führungsspitze. Dieser Zustand spiegelt unsere gesellschaftliche Situation insgesamt wider."

Der Anteil an Frauen beträgt in den Führungsriegen Europas 8 Prozent,  damit liegt
der alte Kontinent weit hinter den Vereinigten Staaten zurück. "In Deutschland sind es sogar nur knapp sechs Prozent", ergänzt Sabine Christiansen, "das zeigt sich auch
in der Zusammensetzung meiner Gesprächsrunden." Es sei an der Zeit, die männlichen Denkschablonen zu verlassen, nach denen der Ernährer morgens um acht aus dem Haus geht und spät abends nach dem letztem Termin heim kommt. "Die meisten Frauen um die vierzig haben Kinder. Arbeit läßt sich auch fließend gestalten. Es braucht nicht immer starre Sitzungszeiten, man könnte vieles den Bedürfnissen der Frauen anpassen. Aber es fehlte zu lange der Wille, Frauen über ihre Alibifunktionen hinaus wirklich zu fördern. Jetzt haben wir die Debatte."

Die Flexibilität, die sie in der Arbeitswelt anmahnt, reklamiert sie nicht für sich. Sie hat keine Kinder. Da sie Arbeit und Leben nicht trennen will, ist sie in ihrem "Medien Kontor" allgegenwärtig. 35 feste Mitarbeiter, davon zwölf Redakteure, bereiten mit ihr die Sendung vor. Sonntags wird ein technischer Stab von weiteren hundert Leuten tätig. Der Rhythmus, in dem dieser Personalkörper tickt, ist sehr unterschiedlich. Wenn Herr Leisler-Kiep der CDU am Dienstag eine Million Mark überweist, von dessen Herkunft er angeblich keine Ahnung hat, wird das Programm am Freitag umgeworfen. "Das ist der Vorteil, wenn man die Gesetze der Tagesaktualität kennengelernt hat", sagt Sabine Christiansen, "ich habe kein Problem damit, die Sendung von heute auf morgen zu ändern. Ich kann meine Kräfte gut einschätzen."

"Sabine Christiansen" hat sich in Deutschland als ein seismograhisches Forum etabliert. Was die Menschen aktuell umtreibt, von der Spendenaffäre bis zur drohenden rot-roten Koalition in Berlin – unter der blauen Kuppel an der Gedächtniskirche wird es diskutiert. Der Vorwurf, dass man dabei immer wieder den Brüderles, Merkels, Hubers und Schlauchs begegnet, trifft meine Gesprächspartnerin nicht. "Sie müssen die Entscheidungsträger und Meinungsbildner dabei haben", sagt sie, "und die bilden einen eingeschränkten Kreis. Wenn Sie die nicht dabei haben, diskutieren Sie in einem luftleeren Raum und können Ihre Fragen und Vorwürfe nie an die richtige Adresse richten."

Wer die Hand ständig am Puls der Zeit hat, läuft Gefahr, die kleinste Erregung überzubewerten. Erst wer die Souveränität besitzt, nicht auf jeden Ausschlag zu reagieren, gewinnt jenen Themen Sendezeit, die weit bedeutsamer sind, als jede Rentenreform. Die Schnelligkeit der Mediengesellschaft, hat Sabine Christiansen in einem Interview gesagt, lenke von den wesentlichen Problemen immer mehr ab.  "Die Halbwertzeiten großer Themen wie Gen-Technik oder Klimakollaps werden kürzer", gesteht sie. "In den siebziger und achtziger Jahren wurde der Umweltschutz zu Tode diskutiert. Es brauchte erst die BSE- und MKS-Krise, um die katastrophalen Folgen unseres Wirtschaftens wieder ins Gedächtnis zu rufen."

In der Zeit, in der wir miteinander sprechen, sind Urwälder von der Fläche Münchens von der Erde verschwunden. Sabine Christiansen weiß das, sie ist bestens
informiert. Sie findet das schrecklich. Aber sie ist Realist genug, um einzugestehen, dass der Umweltschutz, welcher ohnehin nicht auf nationaler Ebene diskutiert
werden kann, in seiner Komplexibilität nur bedingt medienkompatibel ist. Die
Wahrheit ist den Menschen eben nicht mehr zumutbar, wie die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann noch meinte. Das Mediengeschäft ist in erster Linie ein
Geschäft, es hat wie jedes andere mit Marktgesetzen zu tun. Infolgedessen sind die Medien weniger der Aufklärung als dem Entertainment verpflichtet.

Auch "Sabine Christiansen" ist Entertainment, sonst wäre die Sendung nicht populär. Wenn sich die Politiprominenz Sonntags fetzt ("Nun lassen Sie mich... nun lass... nun lassen Sie mich doch mal ausreden!") werden auf deutschen Couchen Unmengen von Chips verdrückt. Kritiker werfen der Moderatorin vor, dass sie dem Treiben nicht rechtzeitig Einhalt gebiete, dass sie sich überrumpeln lasse und hilflos zusehe, wie ihr Forum für Parteipropaganda mißbraucht werde.

Sie schüttelt den Kopf. "Als Moderatorin werfe ich zu Beginn der Diskussion ein Netz aus", sagt sie. "Dann geht es darum, ob ich die Knotenpunkte halten kann oder ob sich das Netz zum zerreißen spannt. Solange es eine spannende Dehnung hat, ist es wunderbar. Aber irgendwann wird die Spannung so groß, dass man die Dinge wieder zusammenführen muß. Darin sehe ich meine Aufgabe. Der Zuschauer soll merken, auf welch emotionaler, manchmal fast verletztenden, zynischen Ebene eine  Debatte abläuft. Dazu muß ich das Gespräch aber laufen lassen."

Das Spannende sei, dass sie nie zuvor wisse, wie die Chemie ihrer Gäste untereinander funktioniere. Das Wort spannend oder hochspannend folgt bei Sabine Christiansen in Serie, sobald sie über ihre Sendung spricht. Sie findet es spannend, wenn sich ein Gespräch, das ruhig begann, in einer Heftigkeit aufbaut, die sie nicht erwartet hatte. Wirtschaftsgrößen zu gewinnen, die für gewöhnlich nicht an die Öffentlichkeit gehen, sei hochspannend. Aber nicht nur große Namen lockten das Publikum vor den Bildschirm, auch spannende Themen verfehlten ihre Wirkung auf die Einschaltqouten nicht.

Sabine Christiansen präsentiert sich live. Fehler und Peinlichkeiten sind nicht korrigierbar. Wie wichtig ist ihr die Anwesenheit des Studiopublikum? "Sehr wichtig", sagt sie, "das Publikum wirkt wie ein Korrektiv. Wenn jemand ausfallend wird, buhen die Leute. Das zeigt Wirkung. Viele Politiker sind versucht, Allgemeinplätze applausheischend in die Runde zu werfen. Es ist interessant zu sehen, dass dies nicht funktioniert. Die Leute merken, wenn ein Satz spekulativ für die Öffentlichkeit bestimmt ist, sie lassen sich nicht mißbrauchen."

Nicht zuletzt dieses gesunde Volksempfinden ist es, das Sabine Christiansen das Gefühl gibt, in richtiger Funktion unterwegs zu sein. Das Gewicht der Welt will  sie nicht schultern, wer vermag das schon? Aber Anwalt der Zuschauer möchte sie sein. Das ist spannend. Sie war nie eine, die nur aufs Nationale geschaut hat. Dazu ist sie
zu viel gereist, dazu sind in ihrem Freundeskreis zu viele Kulturen vertreten. Unter
anderem war sie mehrmals in Tibet. Dort hat sie erschnuppert, was es bedeutet, sich dem Leben auf andere Weise hinzugeben, als unter der Glasglocke an der Gedächtniskirche. Die meditativen Übungen im Kloster machte sie begeistert mit. Wenn das Ritual morgens um drei begann, war sie dabei.

"Ich bin sehr neugierig", sagt sie, "ich lasse mich gerne einfangen. Aber nur, weil ich die zeitliche Begrenzung dahinter kenne. Ich wäre totunglücklich, wenn ich drei Wochen auf einer einsamen Insel verbringen müßte." Sie lacht. "Aber so schlimm wäre das auch nicht: wenn ich keine Arbeit hätte, würde ich mir welche machen. Ich würde die Insel in eine Arbeiststätte verwandeln, verlassen Sie sich drauf."

Es ist immer gut, wenn jemand zu der Fron steht, die ihm auferlegt ist. Warum werde ich trotzdem nicht den Gedanken los, dass diese Frau bei einem Einbruch in ein Juweliergeschäft nicht das Diamantencollier klauen würde, sondern das Samtkissen, auf dem dieses drapiert ist?

Das Porträt erschien in der Berliner Morgenpost

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