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Im Notfall ist auf die Menschen Verlass

Unser Leben wird sich dramatisch verändern, im politischen, im sozialen, im medizinischen Bereich ebenso wie im kulturellen Leben. Der von den Menschen längst eingeleitete Ökozid geht an den Nerv allen Lebens. Unsere Kinder drohen zu Überlebensmonstern zu mutieren, die es durch straffe Herrschaftsstrukturen unter Kontrolle zu halten gilt. Nicht mehr und nicht weniger.

Wer den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen hat, den lade ich ein, mit mir im Geiste eine Computersimulationen durchzuspielen, die uns eine Vorstellung von dem erbärmlichen Zustand geben wird, in den wir unseren Heimatplaneten gebracht haben. Wir jagen die letzten hundert Jahre, also die Zeit, in der das Industriezeitalter ökologisch voll zu Buche schlug, durch den Zeitraffer und verdichten sie auf eine Stunde. Angenommen, wir starteten 1893 vor der amerikanischen Westküste in eine Umlaufbahn um die Erde: Pusteln bildeten sich entlang der Pazifikküste, die an der Ostküste bereits zu bedenklichem Ausschlag herangewachsen wären. Nach der Atlantiküberquerung stellten wir fest, dass ganz Europa davon befallen ist. Es sind die Städte, die wie Metastasen ins Land greifen. Schmutzige Schlieren ergössen sich in Flüsse und Meere. Unterdessen schrumpften die gigantischen Waldflächen in sich zusammen und machten braunen Wüsten Platz. Ein immer dichter werdendes Netz von Straßen und Schienen legte sich um den Globus, ganze Kontinente verschwänden unter einem diffusen Grauschleier. Endlich an den Ausgangspunkt zurückgekehrt, stellten wir fest, dass die Erde zu einer Geschwulst verfault ist, die von Rauch- und Abgasschwaden vielerorts gnädig verdeckt wird.

In fünfzig Jahren wird die ultraviolette Strahlung derart intensiv sein, dass kaum noch Pflanzen wachsen. Das betrifft auch die Grundnahrungsmittel wie Gerste und Reis. Biologisch gesprochen sind wir dabei, aus der Zeit der Bäume in die Zeit des Gestrüpps zu wechseln. Die immer drastischer werdende Erderwärmung beginnt bereits die Windrichtungen zu ändern. Je mehr Abgase wir in die Atmosphäre pumpen, desto hochtouriger läuft die planetarische Windmaschine. Super-Zyklons mit Geschwindigkeiten von bis zu 400 km/h könnten unsere Megametropolen bis hinein in die Innenstädte mit einem Schlag zerschmettern. Auch in Europa werden Hurrikane toben, wie wir sie uns nicht auszumalen vermögen. Sie werden unsere Mülldeponien ausschwemmen und den Feinstaub aus dreihundert Millionen Jahrestonnen chemischer Abfälle als giftigen Schleier übers Land legen. Wir werden mit Überschwemmungen in Gegenden zu rechnen haben, die darauf nicht eingestellt sind. Millionen Menschen werden Seuchen und Hungersnöten zum Opfer fallen. Es ist davon auszugehen, dass die mit Abfallstoffen beladenen Fluten zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen auf diesem Planeten vernichten werden. In Zukunft steigen die degenerativen Nervenkrankheiten in einem Maße an, dass wir uns in einer Welt von Zombies wähnen werden. 

Ich könnte Ihnen die aktuelle Schreckensbilanz bis zum Erbrechen zitieren. Der einzige Effekt, der sich bei Ihnen einstellen würde: Sie wären meiner Aufzählung schnell müde, Ihre Aufnahmefähigkeit und Ihr Empörungspotential wären schneller erschöpft, als es der Sache dienlich ist. Wir alle sind in individuellen Geschichten verstrickt, und es ist nicht einfach, sich dort herauszunehmen. Selbst wenn dies gelänge, wären wir doch nur mit unserer persönlichen Ohnmacht konfrontiert. 

In Zukunft werden wir unser Leben als manipuliertes Milliardenheer im Scheinpluralismus weniger Konzerne fristen. Unsere Demokratien sind schon jetzt zu Organismen verkommen, die allein durch wirtschaftliches Wachstum überleben. Bleibt dieses aus, und erste Anzeichen erleben wir gerade, macht sich sofort ein rechtes Protestpotential bemerkbar, das direkt in den verschleierten Faschismus führt.

Inzwischen glaubt die Mehrzahl der Menschen, dass die Lösung der ökologischen Probleme in erster Linie ein Fall für die Wissenschaft ist. Aber solange Wissenschaft und Ethik zwei getrennte Begriffe sind, wird sich an der Talfahrt des Lebens nichts ändern. Die Gentechnologie macht dies auf krasse Weise deutlich. Früher gab es in Asien über 300 verschiedene Reissorten, heute teilen sich einige Großkonzerne den Markt mit wenigen genmanipulierten Pflanzen. Die Folge ist, dass die erzwungenen Monokulturen ganze Landstriche veröden lassen. Wenn sich Wissenschaft und Ethik nicht in wechselseitiger Beziehung begreifen, werden wir keine Lösungen finden.

Es sind die ideologischen Barrieren der bis zum heutigen Tage betriebenen Formen des Umweltschutzes, die erkannt und beiseite geräumt werden müssen. Es geht darum, die Brille des alten Umweltschutzes, der eigentlich nur Menschenschutz bedeutet, abzunehmen und durch die Brille der ganzheitlichen Ökologie zu ersetzen. Sie erst lässt uns erkennen, dass die Umwelt nichts ist, was außerhalb von uns existiert, sondern dass wir Teil einer einzigen und einzigartigen Welt sind.

Es ist schon ein erbärmliches Zeugnis, wenn man das den Menschen in Erinnerung bringen muss. 

Dies sind einige kurze Auszüge aus einem Vortrag, den ich 1993 (!) an mehreren deutschen Universitäten gehalten habe. Hat sich seitdem irgendetwas zum Besseren gewendet? Gestern saß ich in meinem Lieblingscafé und das ist gut bestückt mit Magazinen und Zeitungen. Normalerweise fasse ich so etwas nicht mehr an, aber gestern machte ich eine Ausnahme. Prompt ließ mich die Informationsbeute erschauern. So berichtete der Spiegel, dass es in Deutschland fast keine Naturflächen mehr gibt, die wenigstens einen Kilometer von einer Straße entfernt liegen. Woanders las ich, dass der designierte US-Präsident Donald Trump mit dem Lobbyisten Myron Ebell einen entschiedenen Leugner des Klimawandels auserkoren hat, die Umweltschutzbehörde zu leiten. Aber da war ja noch dieses fantastische Foto einer aus dem Wasser ragenden tropfenden Walfischflosse, das sechs Spalten einer Zeitungsseite füllte und bei dessen Anblick ich unweigerlich daran dachte, dass es sich hier um einen engagierten Aufruf zum Schutz der Meeressäuger handelte. Stattdessen hieß es: WAL GRIFF URLAUBER AN! Das Brandenburger Umweltministerium meldete, dass ein „Problemwolf“ im Garten einer Kindertagesstätte gesichtet wurde. Den Deal der Firma Louis Vuitton mit vietnamesischen Krokodilfarmen nahm ich bewusst nicht zur Kenntnis, nachdem das Foto bereits ausreichend Aufschluss darüber gab, unter welchen Umständen unsere späteren Krokotaschen gehalten und gemeuchelt werden. Krokodile sind zähe Biester, sie überleben die Hammerschläge auf den Kopf und das Abhacken der Beine noch für Stunden. Ah, und dann noch dieser Bericht über einen Mann mit dem melodischen Namen Marc Morano. Marc Morano steht im Zentrum einer Propagandaschlacht, für die sich in den vergangenen Jahren in den USA mehr als drei Dutzend Lobbyorganisationen gegründet haben, die den Kampf gegen die internationale Klimaforschung mit mehreren Hundert Millionen Dollar befeuern. Der Schlachtruf des Krisenmanagers Morano ist einfach: „Klimawissenschaftler haben es verdient, öffentlich ausgepeitscht zu werden.“ Sein Arbeitgeber ist das Committee for a Constructive Tomorrow, eine Organisation, die sich als Gegenstück zu Greenpeace begreift. In den vergangenen Jahren wurde sie neben anderen von dem amerikanischen Autohersteller Chrysler sowie den Ölkonzernen ExxonMobil und Chevron finanziert. Wenn es diesen Leuten gelingt, dem vom Menschen gemachten Klimawandel etwas entgegenzusetzen, nämlich den vom Menschen gemachten Zweifel an der Klimaforschung, ist ihr Geld gut angelegt. „Das ganze menschliche Projekt ist eine Maschine ohne Bremsen, denn es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich die politischen Führer der Welt der Realität stellen werden, bevor die Katastrophe eingetreten ist,“ ließ sich Steward Udall einst vernehmen. Udall ist einer, der es wissen musste, er diente den US-Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson von 1961 bis 1969 als Innenminister.

Ich packte den Stapel Zeitungen zusammen und legte ihn zurück ins Regal. Was ich jetzt brauchte war ein Stück unverbrauchter Natur. Bis zu den Wäldern oberhalb des Elbhanges bei Falkenstein war es eine knappe Stunde mit der S-Bahn. Die Reise hatte sich gelohnt. Endlich konnte ich durchatmen. Höhepunkt meines Waldspazierganges war ein Unfall. Ich stolperte über eine Baumwurzel und fiel der Länge nach hin. Dort lag ich plötzlich im faulenden Laub auf weicher schwarzer Erde. Wie gut sie doch roch! Ich krallte meine Finger in den Boden und hielt mir eine Handvoll der feuchten Substanz vor die Nase. Ich konnte nicht genug kriegen von diesem Duft. Und als ich gerade dabei war, mir das ganze Gesicht mit der Schwarzerde zu bestreichen, fiel neben mir ein Fahrrad ins Laub. Jemand rüttelte an meiner Schulter. „Haben Sie sich verletzt? Kann ich helfen?“  hörte ich eine kräftige Männerstimme sagen. „Nein, vielen Dank, alles gut,“ antwortete ich und rappelte mich auf. Als der Fremde in mein geschwärztes Gesicht blickte, verschwand er so schnell wie er gekommen war. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten: Im Notfall wäre auf die Menschen Verlass ….