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Lasst uns an den Umständen nicht verrückt werden

Wie geht man mit der Tatsache um, dass man einer Spezies angehört, die sich blind in den kollektiven Untergang wühlt und dabei alles andere Leben aus dem Gleichgewicht reißt, ohne dass man auch nur die geringste Möglichkeit hätte, dieser verheerenden Entwicklung entgegen zu wirken? Jahrzehntelang haben wir uns in unserer Ohnmacht mit immer neuen Parolen rüsten müssen: Rettet die Nordsee, rettet das Nashorn und das Klima, rettet den Regenwald, rettet den, die, das. Das Ergebnis? RETTE SICH WER KANN!

In meinem letzten Artikel hier auf KenFM schrieb ich, dass es ja nicht die Herausforderungen sind, die uns ohnmächtig werden lassen, sondern das verbreitete Gefühl, nicht an der praktischen Umsetzung von Lösungsansätzen teilnehmen zu können. Das Problem ist nicht die Krise! Das wirkliche Problem ist das Gefühl der Machtlosigkeit, dieser Eindruck, mit gebundenen Händen dazustehen und nichts anderes tun zu können. Wie schafft man es nun, angesichts der permanent sich verschlimmernden Zustände nicht verrückt zu werden? Diese Frage scheint inzwischen immer mehr Menschen zu beschäftigen. Wie schnell wir der Verzweiflung nahe kommen können, beweist dieser Kommentar, den mir ein FB-Freund gepostet hat:

“Deine Beiträge auf Facebook rühren mich sehr an. Auch meine Aufgabe habe ich im Wort und im Schreiben gesehen, jedoch unterliege ich seit einigen Monaten einer vollkommenen Schreibblockade. Was du an Argumenten anführst, macht mir klar, warum ich derzeit schweige. Alle Dinge laufen so sehr aus dem Ruder, da ist der Einzelne als einsamer Rufer verloren und das Leben verliert zusehends an Sinn.”

Die folgenden Aussagen aus einer E-Mail, die mich vor kurzem erreichte, möchte ich ebenfalls nicht unerwähnt lassen.

„Guten Abend Herr Fleck,

ich muss Ihnen sagen, dass es unglaublich gut tut (wenigstens für den Moment des lesens oder hörens) Ihnen zuzuhören, oder Ihre Artikel zu lesen. Warum sage ich das? Weil es mir in Bezug auf unsere Erde exakt genauso geht wie Ihnen. Man ist aktiv, illegal und legal, man engagiert sich, sucht nach Lösungen. Und um so länger man das tut, um so schlechter kann man schlafen, um so schlechter kriegt man die Bilder aus dem Kopf und um so mehr versucht sich die Verzweiflung breit zu machen. Ich denke auch, dass es zu spät ist. Was mich nur unsagbar traurig macht ist, was wir mit uns in die Tiefe reißen. Ich hasse meine Spezies so hochintensiv für diese pausenlosen Perversitäten.“

Der Mann ist Geschäftsführer eines sehr erfolgreichen Berliner Unternehmens. Sein Brief schließt mit den Worten: „Ich hatte ein wirklich interessantes Leben mit vielen Erlebnissen, die der allerallergrößte Teil der Bevölkerung nur aus dem Kino kennt. Und doch ist es wertlos, weniger wert als ein Windhauch oder eine Welle. Damit kann ich leben, womit ich nicht leben kann, ist meine Hilflosigkeit. Wie haben Sie Ihren inneren Frieden gefunden, wenn Sie ihn denn gefunden haben? Wie kommt man mit sich selbst ins Reine?“

Eine gute Frage. Vielleicht sollte man sich häufiger bewusst machen, dass hinter dem, was wir als Realität bezeichnen, eine ganz andere Wirklichkeit steckt, welche mit den Mitteln des Verstandes gar nicht oder nur unzureichend erklärt werden kann, eine Wirklichkeit, die sich jeder Etikettierung verschließt. Die Naturwissenschaften sind nicht in der Lage zu erkennen, dass sich ihnen die Natur nur so vorstellt, wie es ihre Messmethoden erlauben. Also: welche Art von Wirklichkeit erkenne ich, wenn ich mit dieser Art zu denken der Wahrheit auf die Schliche kommen will? Unsere sogenannte Realität, also das, was wir begrifflich festgelegt haben und aus der unter anderem auch unser Leid und unsere Empörung erwachsen, ist lediglich eine dreidimensionale Folie, die über die Wahrheit gezogen wurde. Wir sollten uns daher immer wieder bewusst machen, dass wir nur ein einziges Instrument zur Verfügung haben, um das Mysterium unserer Existenz zu ergründen: uns selbst! Unsere Sinne!  Jedes Individuum ist sein eigenes Medium. Wir haben uns zwar darauf geeinigt, etwas blau zu nennen, aber ob das Blau, das meine Mitmenschen wahrnehmen, von gleicher Farbe ist wie das Blau, das ich sehe, steht auf ewig in den Sternen. Wichtig ist, uns klar zu machen, dass wir alleine geboren wurden und alleine sterben werden. Und dass wir bei genauerer Betrachtung auch alleine leben. Daran ändert auch die Mitgliedschaft in Kegelclubs oder Esoterikzirkeln nichts.

Jeder von uns hat eine Vorstellung von sich selbst, wir definieren uns über Eigenschaften wie schüchtern, großzügig, eifersüchtig, ehrgeizig, galant, abergläubisch, tierlieb, zärtlich, treu, flatterhaft, pedantisch, vergesslich, gutgläubig, verantwortungsbewusst und was uns sonst noch alles einfallen mag. Nichts davon ist in den Laboren der Wissenschaft beweisbar. Nach den Regeln der Vernunft („Ich glaube nur, was ich sehe“) gibt es uns gar nicht. Und trotzdem haben wir eine genaue Vorstellung von unserem Wesen, obwohl es sich jedem wissenschaftlichen Beweis entzieht. Der Mensch besitzt nichts, weder seinen Körper, der ihm jederzeit genommen werden kann, noch irgendeine Wahrheit, die ihm beim nächsten genauen Hinsehen ohnehin wieder abhanden kommt. Alles, was auf uns Eindruck macht, jede Idee, „die uns kommt“, gehört uns nicht, es sind flüchtige Leihgaben. Wir sind Gespenster, die sich über ihre Einbildungen definieren … Wer mir bis hierhin nicht folgen mag, darf das gerne wieder als „spirituelles Geschwurbel“ abtun.

„Wissen Sie, was ich glaube? Dass wir in eine Welt hineingeboren wurden, in der sich niemand mehr die Zeit nimmt, der zu werden, der er ist – und all diese Menschen, die nicht sie selbst sind, verletzen die wenigen Menschen, die sich diese Zeit nehmen.“ Das hat der von mir sehr verehrte Sean Penn gesagt und ich denke, er hat verdammt recht damit.

Aber zurück zu den verzweifelten Texten, die ich eingangs zitierte. Was soll ich sagen? Wir befinden uns ohne Zweifel an einem Wendepunkt der Geschichte. Eine bessere Welt ist aber nur möglich, wenn wir zu einer grundsätzlich anderen Lebens- und Weltanschauung finden. Es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die diesen Bewusstseinswandel vollzogen haben, und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo, und es passiert jetzt. Die Vertreter des alten Systems wissen das. Sie wissen, dass ihre Richtlinien, Normen und Werte nicht mehr funktionieren. An solchen Wendepunkten nehmen wir Abschied von der Persönlichkeit, die wir waren. Wir begrüßen die Person, die wir gerade werden. Unsere Ängste entsprechen denen, die wir vor dem Sterben entwickeln. Aber wir müssen begreifen, dass wir nicht alleine sind mit unserer Furcht, dass die Angst uns alle erfasst, aber dass wir sie miteinander teilen können. Wir müssen erkennen, dass die Erschütterungen der alten Ordnung ein gewaltiges Potenzial an bis dato gebundener Lebenskraft freisetzt, das uns nun befähigt, etwas völlig Neues zu schaffen. Wenn wir aber vor dem Unbekannten zurückschrecken, wenn wir uns vor der Verantwortung für das Neue drücken und nur zögerlich die nächsten Schritte gehen, dann deprimieren wir die Person, die wir werden zugunsten der Persönlichkeit, die wir waren.

Lets do it! Was haben wir denn noch zu verlieren?