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Jürgen Hunke

Jürgen Hunke hatte vorgeschlagen, an die Ostsee zu fahren. Er besitzt ein Haus am Timmendorfer Strand, von dort startet er häufiger zu ausgedehnten Spaziergängen, wenn ihm nach inspirierenden Gesprächen zumute ist. Henning Voscherau ist nur einer aus der Schar derer, die sich dort an der Seite dieses umtriebigen Mannes den Wind um die Nase wehen ließen, während sie von ihm mit phantastischen Ideen gefüttert wurden.

Mein Gastgeber hat den Bentley aus der Garage geholt, schwarz, rotes Leder, fünfhundert PS. Wir gleiten wie in einer Raumkapsel über die Autobahn. „Was bedeutet für euch Journalisten eigentlich das Wort schillernd?“ fragt er unvermittelt. „Ich werde seit Jahren mit diesem Attribut versehen.“ Schillernd bedeutet schillernd, denke ich, was denn sonst? „Was ist das Gegenteil von schillernd?“ hakt er nach, als mir keine Definition einfallen will. „Stumpf“, sage ich. „Ach so, dann ist das ja positiv!“

Es dauert einige Minuten, bis man bereit ist, Hunke diesen liebenswert naiven Part abzunehmen, aber dann fällt es relativ leicht. Der Mann spricht ohne Unterlaß, seine kräftige Stimme steht wie ein unbezwingbarer akustischer Wall im Raum. Eine klassische Ge-sprächsführung ist nicht möglich. Aber man kann seinen Redefluß durch Stichworte steuern, die nimmt er virtuos auf. Jürgen Hunke spricht ohne Netz und doppelten Boden. Von Gesprächsdiplomatie keine Spur. Das läßt sich auch als Vertrauensbeweis werten, zumal er mir auf der Überholspur en passent zu verstehen gibt, daß er durchaus zu schweigen imstande ist, sobald er merkt, daß er im Begriff ist, Perlen vor die Säue zu schmeißen.

Stichwort Erfolg. „Diejenigen, die ausschließlich den finanziellen Erfolg anstreben, werden schnell verbissen, die sind nicht locker“, sagt er. „Das Wichtigste ist, daß man an einer Sache Freude hat. Dann ist es in der Marktwirtschaft eigentlich üblich, daß man mit wirtschaftlichem Erfolg belohnt wird. Ich hab nie das Materielle gesehen. Meine Grundphilosophie lautet: Nur wer den Mißerfolg liebt, wird auch Erfolg haben. Es gibt keinen Erfolg ohne Mißerfolg. Man muß viel ausprobieren, testen, dann ist beides im Programm. Allerdings braucht es immer drei Dinge: Fleiß, Kontinuität und Charakter.“ Wie ist das für ihn, Charakter? „Geben und nehmen müssen im Einklang sein. Wer dieses Gesetz respektiert, hat Charakter.“

Der Bentley beschleunigt auf 250, die Herrschaften in den zurückbleibenden Familienkutschen atmen wie Flundern, die man kurzfristig trocken gelegt hat. Jürgen Hunke widmet der Straße nicht mehr Aufmerksamkeit als zuvor. „Ich bin extrovertiert und konservativ“, höre ich ihn sagen, „diese Mischung ist gar nicht so schlecht. Man kann aber nur extrovertiert leben, wenn alles andere in Ordnung ist. Das Fundament ist die Ordnung, die Steuern müssen am besten schon gestern bezahlt sein...“

Nimmt der „schillernde“ Hunke etwas von seinen liebgewordenen „Verrücktheiten“ zurück, wenn er sich in exponierte gesellschaftliche Positionen begibt, wie 1990 als HSV-Präsident und im letzten Wahlkampf als Spitzenkandidat der STATT-Partei? „Genau das tue ich eben nicht“, antwortet er, „das ist es ja, was immer wieder zur Kritik führt. Viele in Hamburg können mit meiner Art nicht umgehen. Inzwischen läßt man mir meinen Bentley, meinen Ferrari und all das. Diese Akzeptanz muß man sich aber hart erkämpfen, das kriegt man nicht in zwei Jahren geregelt, da muß man erst durch ein Stahlbad von Neid und Mißgunst gehen. Aber das macht Spaß. Ich kann mich in dieser Stadt bewegen wie ich will, ich kann zu einem Lindenberg-Konzert gehen oder nach St.Pauli. Bei einem geschliffenen Hanseaten fragt man doch sofort: `Was macht der denn da?`.“

Warum nur verdächtige ich Jürgen Hunke, daß er sich gelegentlich in die eigene Tasche lügt, daß er unmöglich die Kraft haben kann, sich so dauerhaft souverän mit dem etablierten Mittelmaß anzulegen, das uns nun einmal umgibt? Er tut so, als sei er eine verläßliche Größe, die berechenbar einzusetzen ist im absurden Kräftespiel der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Interessen. Ist er nie in eine dieser klassischen Fallen gelaufen, die das Leben für sensible Seelen bereit hält? In eine fatale Liebesgeschichte zum Beispiel, welche auch dem tatkräftigstem Macher beizeiten das Mark aushöhlen kann? „Liebe ist für mich ein separates Thema“, sagt er lachend und es klingt, als versage er sich bewußt jeden Gedanken an die Gefahren, die mit ihr verbunden sind. „Dieses Leiden an der Liebe, das habe ich nie kennengelernt, aber das kann ja noch kommen. Meine Tochter will mich auch immer an diesem Punkt packen. Ich bin in dieser Angelegenheit wohl etwas cooler als andere, ich setze sehr stark den Verstand ein. Frauen mögen das nicht so gern. Vor drei Wochen habe ich eine sehr hübsche junge Dame in Wien getroffen. Wissen Sie, was die zu mir gesagt hat? Du bist mir viel zu alt! Da hab ich gedacht, Junge, sie hat recht, jetzt mußt du noch bewußter leben, noch sparsamer mit deiner Zeit und mit deiner Energie umgehen.“

Wir sind da, vor uns liegt sein strahlend weißer buddhistischer High-Tech-Tempel, der am Ort schon für genügend Furore gesorgt hat. Inzwischen haben sich die Timmendorfer daran gewöhnt, sie sind sogar ein wenig stolz auf diese Sehenswürdigkeit am Strand, die keinen Spaziergänger unbeeindruckt läßt. Das Haus hätte eine Beschreibung verdient, aber es verströmt soviel Privatatmosphäre, daß man sich von ganz alleine verpflichtet fühlt, sie zu schützen.

Die Ostsee glitzert gekräuselt in der grellen Sonne. Der Tag trägt den ersten Anflug von Frühling in sich, vielleicht ist es dies, was eine ältere Dame im Vorübergehen ermutigt, Jürgen Hunke zu sagen, was für ein schöner Mann er ist. Der schöne Mann reagiert sichtlich irritiert, er war gerade dabei, über den HSV zu sprechen, dem er ja wieder „zur Verfügung“ stehen will, wenn der Verein in die zweite Liga absteigt, woran er nicht im geringsten zweifelt. „Dann wird es richtig schwer“, sagt Hunke, nachdem er sich von dem Kompliment einigermaßen erholt hat, „dann geht es in erster Linie darum, Geld zu besorgen. Heute muß man einen Fußballver-ein wie ein Unternehmen führen. Uwe Seeler kann das nicht, der muß sich auf andere Leute verlassen, die ihn anschieben. Damals hatte ich mich ja ungeliebt gemacht, als ich den Kauf der Ostimmo-bilien kritisierte. Aber so ein verein gehört doch nicht drei Leuten, er gehört der ganzen Stadt. Der HSV hat schon unter Klein den Anschluß verpaßt. In der zweiten Liga wird es richtig Probleme geben. Der nächste, der das macht, muß wissen, daß er eigenes Geld mitzubringen hat. Und ich wette mit Ihnen, daß alle, die heute in der Verantwortung sind, wegrennen werden.“

Jürgen Hunke bezeichnet sich gerne als Fußballverrückten, aber das allein kann nicht der Grund dafür sein, daß er bereit ist in die Bresche zu springen, wenn andere das Weite suchen. Den Nieder-gang des HSV interpretiert er im Kontext einer Entwicklung, die im Begriff ist, ganze Hamburg mit einem Provinzmief zu überziehen. „Vielleicht bin ich nur ein naiver Idealist“, sagt er, „aber wenn ich daran denke, das unsere Väter in ungleich schwereren Zeiten Opernhäuser, Theater und Sportstätten hingestellt haben, will mir nicht in den Kopf, daß wir in der erfolgreichsten Zeit Deutschlands nichts anderes im Sinn haben, als diese wieder zu schließen oder verkommen zu lassen. Das ist Kulturfrevel. Ich bin zu allen bedeutenden Bauträgern dieser Stadt gegangen und hab gesagt, Kinder, ihr habt Millionen, wenn nicht Milliarden an Bodenspekulationen verdient, nun gebt der Stadt doch endlich etwas zurück, bildet einen Pool, baut die Arena. Da hab ich mir nur die Nase eingehauen. Ich kriege Sodbrennen, wenn ich daran denke...“

Die Erfahrung mit den Hyperreichen der Stadt schmerzt Hunke  umso mehr, da er von der Politik ohnehin keine Impulse erwartet. „Diese Stadt ist seit jeher eine sozialdemokratische Stadt. Die Hamburger SPD ist keine Intellektuellenpartei, sondern eine Arbeiterpartei, die ihre Schwerpunkte in den sozialen Fragen hat. Sie übernimmt vielleicht ein bürgerliches Thema, mehr nicht. Sport und Kultur sind bürgerliche Themen für sie. In Hamburg hat man sich für die Kultur entschieden. Der Sport bleibt auf der Strecke. Es ist tödlich, wenn keine Infrastruktur geschaffen wird, die Lebens-qualität bedeutet. Manchmal habe ich das Gefühl, die Stadt ist auf das Jahr 2000 nicht vorbereitet. Warum baut man die Arena nicht auf dem Heiligengeistfeld? Ich kämpfe seit zehn Jahren für diese Idee. Laßt uns doch etwas Solitäres bauen, etwas, das unseren Kindern zeigt, daß auch wir über eine eigene Handschrift verfügen.“

Viel Zeit gibt sich Jürgen Hunke nicht, um sich wie gewohnt einzumischen. Ende `99 will er sich aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Sein Versicherungsimperium „Zeus“ hat er per Optionsvertrag einem Schweizer Konzern in Aussicht gestellt. „Ich möchte im nächsten Jahrtausend nicht mehr für Geld arbeiten. Welche Men-schen konnten das je so entscheiden? Zu sagen, in dem einen Jahrtausend habe ich für Geld gearbeitet, im nächsten Jahrtausend arbeite ich aus Spaß.“ Er steuert auf ein Cafe zu, das eine Kartof-felsuppe kredenzt, nach der man süchtig werden kann, wie er sagt. „Ich möchte manchmal auch jemanden eins auswischen, der mir nicht korrekt gekommen ist, das würde durchaus meinem Wesen entsprechen“, sagt er unvermittelt, nachdem die Terrine leergeputzt ist, „aber ich sage immer, was du pflanzt, wirst du ernten, im positiven wie im negativen Sinne. Deshalb habe ich ein wenig Schiß vor unüberlegten Aktionen. Man verhält sich einfach anders, wenn man dieses Gesetz kennt.“ In dem Film „Welcome Mr. Chance“ war ein von Peter Sellers gespielter Gärtner mit dieser Lebensweisheit zum wichtigsten Berater des amerikanischen Präsidenten aufgestiegen. Jürgen Hunke ist schon zufrieden, wenn jemand einen ähnlichen Sinn für die kosmischen Gesetze entwickelt, wie er selbst.

Auf dem Weg zurück in sein wunderlich weißes Haus streift er sämtliche kommunalpolitischen Felder, auf denen er dem Hambur-ger Interessenfilz in den letzten Jahren vergeblich das Banner der Kreativität entgegenzuhalten versuchte. Die schmerzliche Nieder-lage als Spitzenkandidat der STATT-Partei bei der letzten Bürger-schaftswahl scheint ihn kuriert zu haben, zumindest scheint er nun bereit, das Trägheitsgesetz zu akzeptieren, welches jede Vision zu schlucken versteht, die ohne ausreichende Unterstützung in der Öffentlichkeit daherkommt, was wiederum dem schändlichen Treiben der Absahner Tür und Tor öffnet. Aber Hunke wäre nicht Hunke, wenn er nicht gleichzeitig einen Hoffnungsschimmer am Horizont ausmachte. „Ich weiß, daß wir uns wieder zurückentwickeln werden“, sagt er. „Wir werden wieder Bücher lesen, anstatt fernzusehen, wir werden ein Teil der Arbeitslosigkeit, die nun einmal im System liegt, abbauen, weil wir ein neues Qualitätsbewußt-sein entwickeln. Es wird wieder Schneider, Schuster und jede Menge anderer Dienstleister geben. Die eine Hälfte der Gesell-schaft wird für die andere Hälfte wieder qualitative Dienstleistungen oder Waren produzieren. Darum ist konsumieren etwas Gutes, Konsum produziert Arbeit. Der Erfolg von Jil Sander besteht nicht im Design, sondern in der Qualität der Ware. Bewußtsein zur Ware - das wird sich in vielen Bereichen entwickeln.“

Er führt mich in den von Buddhastatuen gesäumten Innenhof seines Hauses, dessen plätscherndes Wasserspiel die lärmende Welt wie selbstverständlich auf Distanz zu halten scheint. Jürgen Hunke sitzt schweigend im Stuhl, sein Gesicht wirkt konzentriert, entspannt und zeitlos zugleich. Dies ist also das Original. Die Dame hatte recht, er ist ein schöner Mann. „Ich hoffe, daß der Herrgott mich noch ein bißchen leben läßt und fit sein läßt“, sagt er ohne jede Koketterie. 55 wird er im Juni, denkt er gelegentlich daran, wie schnell so ein irdischer Zauber vergehen kann? „Hören Sie auf“, sagt er, als habe er einen elektrischen Schlag bekommen, „ich bin noch nicht soweit, daß ich mich damit auseinandersetzen will...“

Auf dem Weg nach Hamburg ist ihm jedes Thema recht außer diesem. Und so landen wir dann doch noch bei den Frauen. Sie sind wunderbar, da sind wir uns einig, ihre Energie ist unentbehrlich, aber zusammenleben mit ihnen? Das ist so ein Fall für sich. Wir lachen viel aber immer über uns selbst. „Was ich nie machen würde“, sagt Jürgen Hunke, als wir in die Rothenbaumchaussee biegen, „ich würde nie mit einer Frau zusammen ein Unternehmen leiten. Prinzipiell nicht. Das finden die natürlich ganz schlimm, wenn ich das so kategorisch sage. Aber irgendwann wenn es hart auf hart kommt im Business, fangen die an zu weinen. Das kann ich auf den Tod nicht ab. Die weinen und am Ende gibt man natürlich nach. So kann es nicht funktionieren...“ Dies war vielleicht der schönste Satz unserer seltsamen Reise an die See. Morgen früh um fünf wird Jürgen Hunke wie jeden Tag aufstehen, um sechs wird der Masseur kommen und anschließend wird er frisch gestärkt seine Energie in die Stadt katapultieren. Wie hatte er in Timmendorf gesagt? „Das Fundament muß konservativ sein. Erst dann kann ich anfangen zu spielen.“

Das Porträt erschien in der WELT

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